Protestierende in Varosha
AP/Petros Karadjias
Viele Konflikte

Ankara und Athen am Rande der Eskalation

Vor einem Monat hatte es noch so ausgesehen, als wären die Türkei und Griechenland bestrebt, ihr zuletzt stark angespanntes Verhältnis zu normalisieren. Davon kann keine Rede mehr sein: Ankara hat den langwierigen Zypern-Konflikt wieder angeheizt, und auch sonst fehlt es nicht an Auseinandersetzungen mit hoher Sprengkraft.

Am Rande des NATO-Gipfels am 14. Juni in Brüssel waren der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erstmals seit zwei Jahren und überhaupt erst zum zweiten Mal seit Beginn der Amtszeit des Griechen zusammengetroffen. Im Anschluss hieß es, man sei übereingekommen, die Spannungen der jüngeren Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Selbiges hatten zwei Wochen zuvor schon der griechische Außenminister Nikos Dendias und sein Amtskollege Mevlüt Cavusoglu verkündet. Man sei sich bewusst, dass manche „Auffassungen sehr unterschiedlich“ seien – „bei besonders wichtigen Themen stehen sich die Meinungen sogar diametral gegenüber“. Doch man wolle eine schrittweise Normalisierung der Situation herbeiführen und die Probleme mit „Respekt gegenüber gegenseitigen Rechten und Interessen“ lösen.

Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan
Reuters/Bernadett Szabo
Erdogan heizte den Zypern-Konflikt in der Vorwoche wieder an

Zypern-Konflikt schwelt seit Jahren

Seit vergangener Woche ist wieder Schluss mit den freundlichen Tönen zwischen den beiden NATO-Partnern: Bei einem Besuch Erdogans in der nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern wurde verkündet, dass die umstrittene Öffnung der einst von griechischen Zyprern bewohnten Küstensiedlung Varosha vorangetrieben werden soll. Nordzyperns Präsident Ersin Tatar sagte, der Status als militärisches Sperrgebiet solle schrittweise aufgehoben und weitere Flächen dieses Teils der Stadt Famagusta zugänglich gemacht werden.

Erdogan sprach von einer „neuen Ära“ für die frühere Touristenhochburg Varosha. Die zypriotische Regierung in Nikosia dagegen reagierte empört auf den Schritt ausgerechnet am Jahrestag der Teilung der Mittelmeer-Insel. Die Ankündigung sei ein Versuch, den Status quo von Famagusta aufzuweichen. Das verstoße gegen UNO-Resolutionen zum Konflikt um die geteilte Insel, sagte Zyperns Präsident Nikos Anastasiades. Auch international war die Empörung groß, EU und USA verurteilten den Schritt als „inakzeptabel“.

EU warnt Türkei vor neuen Sanktionen

Am Dienstag kündigte die Europäische Union gar neue Sanktionen gegen die Türkei an. Wie Außenbeauftragter Josep Borrell im Namen der 27 Mitgliedsstaaten mitteilte, wird von der Regierung in Ankara verlangt, alle Handlungen hinsichtlich Zyperns rückgängig zu machen, die im Widerspruch zu Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stehen. Wenn das nicht geschieht, soll beim nächsten EU-Außenministertreffen über Maßnahmen der EU beraten werden.

An Konflikten zwischen der Türkei und Griechenland mangelt es auch an anderen Fronten nicht: Seit Jahrzehnten sind etwa die Hoheitsrechte in der Ägäis umstritten. Dabei geht es oft um den Luftraum rund um die griechischen Inseln in der Ägäis. Wiederholt wurde in der Vergangenheit davor gewarnt, dass es wegen der häufigen Abfangflüge und Angriffssimulationen „früher oder später“ zu einem militärischen Zwischenfall kommen werde.

Zwei Rafale F3-R Jets
APA/AFP/Aris Messinis
Die Lieferung von französischen Kampfjets an Griechenland sorgt für neuen Disput

Streit über Kampfjets und Erdgas

Vor einigen Tagen erhielt Griechenland das erste Exemplar des französischen Kampfjets Rafale, mit dem das Land die Luftraumsicherung verbessern will. Erst vor sechs Monaten hatte der griechische Verteidigungsminister Nikolaos Panagiotopoulos den Kaufvertrag für insgesamt 18 Exemplare mit dem Konzern Dassault unterzeichnet. Die Lieferung sei wegen der anhaltenden Spannungen mit den türkischen Nachbarn dringend notwendig.

Zudem schwelt zwischen den beiden Nachbarländern seit Jahren ein Konflikt um Erdgas, 2020 wäre er beinahe militärisch eskaliert. Griechenland wirft der Türkei vor, in Meeresgebieten nach Erdgas zu suchen, die nach internationalem Seerecht nur von Griechenland ausgebeutet werden dürften. Nach Lesart Ankaras gehören diese Gebiete jedoch zum türkischen Festlandsockel. Erste Sondierungsgespräche zwischen Ankara und Athen wurden im Februar 2002 geführt. Anschließend gab es rund 60 Treffen bis zum Jahr 2016, danach fünf Jahre Funkstille. Im April diesen Jahres traf man sich in Istanbul wieder, über etwaige Übereinkünfte drang allerdings nichts in die Öffentlichkeit.

Migration als Spaltpilz

Schließlich spießt es sich auch an der Migrationspolitik: Griechenland wirft der Türkei vor, sich nicht an die Abmachungen des EU-Türkei-Abkommens von 2016 zu halten. Kernpunkt des Deals ist, dass die Türkei Fluchtsuchende, die irregulär auf die griechischen Inseln gelangt und keinen Anspruch auf Asyl haben, zurücknimmt. Griechenland selbst wiederum steht wegen seines Umgangs mit Geflüchteten auf See unter Druck.

Nicht zuletzt wegen ihrer gemeinsamen Geschichte liegen die beiden Nachbarländer auch immer wieder über Kreuz. Für Empörung in Griechenland sorgte etwa, dass die Türkei die frühere orthodoxe Kathedrale Hagia Sophia in Istanbul vor einem Jahr wieder in eine Moschee verwandelt hatte. Ankara habe sich dabei über Entscheidungen des UNESCO-Ausschusses für das Kulturerbe hinweggesetzt, hieß es aus Athen. Die Türkei habe damit gezeigt, dass sie die Grundregeln der internationalen Gemeinschaft ignoriere.

Die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts, der eben wieder beschworen wird, liegt seit Jahren in der Luft. Einstweilen wird international versucht, die Spannungen zwischen den beiden NATO-Ländern zu minimieren – zu groß scheint der Flächenbrand, der bei einer tatsächlichen Eskalation entstehen könnte.