Ibiza-U-Ausschuss-Bericht
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„Ibiza“-U-Ausschuss

Abschluss auf 872 Seiten

Der vorläufige Abschluss des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses umfasst 872 Seiten: Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl und sein Juristenteam haben am Freitag dem Parlament ihren Berichtsentwurf vorgelegt. In insgesamt elf Kapiteln bewertet Pöschl, zu welchen Ergebnissen der U-Ausschuss gekommen ist. Mit „einem einfachen Freundschaftsdienst“ lässt sich nicht alles erklären.

Anzumerken ist, dass es sich um einen Entwurf handelt. Dieser wurde an den Nationalratspräsidenten und Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP) übermittelt. Die einzelnen Fraktionen haben nun zwei Wochen Zeit, ihre Sicht auf die Befragungen in eigenen Berichten wiederzugeben. Danach wird der Abschlussbericht im Nationalrat behandelt.

Im Bericht machen die Komplexe rund um Postenbesetzungen bei den Casinos Austria und der gesamte Glücksspielkomplex den Anfang. Die weiteren Abschnitte betreffen auch die Beteiligungsgesellschaft ÖBAG. Weiter geht es mit möglichen verdeckten Spenden an parteinahe Vereine, gefolgt vom Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds (PRIKRAF). Das „Ibiza-Video“ selbst sowie die Schredderaffäre schließen den Berichtsentwurf ab.

Postenbesetzung in Casinos Austria

„Novomatic zahlt alle“: Mit diesem Sager von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache begann die Aufklärung rund um die „mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“. Der Verfahrensrichter ortet in dem ORF.at vorliegenden Dokument ein „gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis“, das zwischen der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung und dem Novomatic-Konzern entstanden sei, auch wenn ein konkreter „Deal“ nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte.

Peter Sidlo
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Peter Sidlo war Vorstand in der Casinos Austria

Mit einem „Deal“ zwischen den früheren Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ mit der Novomatic ist anhand von Angaben in einer Anzeige gemeint, dass es Glücksspiellizenzen im Gegenzug für das mit der Republik abgestimmte Stimmverhalten in der Hauptversammlung der Casinos Austria AG (CASAG) geben habe. Das Abhängigkeitsverhältnis „führte nicht nur zur Vorstandsbestellung des FPÖ-Mannes Sidlo (Peter, Anm.), sondern ermöglichte der Novomatic Mitsprachemöglichkeiten im Bereich des Glücksspiels und die Aussicht auf eine wunschgemäße Änderung des Glücksspielgesetzes“.

Die Bestellung Sidlos in den CASAG-Vorstand „lässt sich mit einem einfachen Freundschaftsdienst an Sidlo […] nicht erklären“, heißt es im Entwurf weiter. Es habe „sehr wahrscheinlich einen ‚Hintergrunddeal‘ gegeben.“ So schreibt Pöschl weiter, dass eine „Verschränkung“ zwischen den Bestellungen Sidlos zum CASAG-Vorstand und Thomas Schmids zum ÖBAG-Alleinvorstand zwar nicht festgestellt werden konnte. Die Untersuchung habe aber „doch eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen ‚Deal‘ in Zusammenhang mit den Vorstandbestellungen ergeben“.

Ausschreibung nicht objektiv formuliert

Insbesondere die Vorbereitung der Bestellung von Schmid hätte „nicht der Ordnung entsprochen“. Er habe als Generalsekretär im für die ÖBAG zuständigen Finanzministerium für die Ausschreibung Formulierungen veranlasst, „die seine Bewerbung begünstigten und andere Bewerber, insbesondere solche aus der Privatwirtschaft, weitestgehend ausschlossen“. Die Aufsichtsratsmitglieder, die gesetzlich für die Ausschreibung verantwortlich sind, seien dem Entwurf gefolgt und hätten es unterlassen, diesen objektiv zu verfassen.

Thomas Schmid vor dem Ibiza-U-Ausschuss
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Thomas Schmid wurde ÖBAG-Vorstand und verfasste laut Pöschl die Ausschreibung mit

Laut Pöschl hätten sich keine Beweise gefunden, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) „über die Art der Erstellung des Entwurfs der Ausschreibung informiert war oder diese aktiv betrieb“. Es schien Kurz schon sehr frühzeitig die Bestellung von Schmid zum Vorstand der ÖBAG als sicher, heißt es weiter. Kurz gab an, dass es bekannt gewesen sei, dass sich Schmid für den Posten bewerben werde. Dass unter den Aufsichtsratsmitgliedern auch ÖVP-Spender sitzen, ist auch Thema im Entwurf: Ein Zusammenhang der Bestellung Schmids mit geleisteten Spenden konnte allerdings laut Pöschl nicht festgestellt werden.

Auffällig sei, dass sich Strache ursprünglich einen Zweiervorstand für die ÖBAG gewünscht habe, also einen FPÖ-nahen Mann neben Schmid. „Dazu kam es offenbar aus ökonomischen Überlegungen nicht“, so Pöschl. Weiters sei „negativ zu bewerten, dass insbesondere von Strache unter Mithilfe von Löger (Hartwig, früher ÖVP-Finanzminister, Anm.) und Schmid massiv auf die Bestellung eines Mitgliedes des Vorstands (Sidlo, Anm.) der CASAG Einfluss genommen wurde“.

Viele Kontakte zu Novomatic

Insbesondere die Kontakte mit der Novomatic würden die Annahme eines „Hintergrunddeals“ verstärken. Sidlo war der Kandidat für den Glücksspielkonzern. So hätten Strache und Schmid einerseits und der damalige Novomatic-Chef Harald Neumann andererseits laut Pöschl unter Verweis auf ihre Chats, die in „auffallender Regelmäßigkeit“ stattgefunden hätten, Absprachen getätigt, die „weit über derartige Absprachen unter Aktionären hinaus“ gingen. „Zumal Strache für die Vertretung der Aktionärsrechte des Bundes nicht zuständig war.“

Am Meinungsaustausch habe am Rande auch der nunmehrige Finanzminister und damalige Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) teilgenommen. Die Novomatic hielt zum damaligen Zeitpunkt Anteile an den teilstaatlichen Casinos Austria, gab diese aber später ab. „Festzustellen waren zahlreiche sehr intensive Kontakte zwischen Vertretern der Regierung und des Finanzministeriums mit Vertretern der Novomatic, die weit über Fragen der Anteilsverwaltung hinausgingen“, so der Verfahrensrichter.

Wolfgang Sobotka und Wolfgang Pöschl
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Vorsitzender Sobotka hat nun zwei Wochen Zeit, den Entwurf von Pöschl zu ergänzen

Der Bericht entlastet die ÖVP in der Schredderaffäre. Das Verfahren habe keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass das Schreddern von insgesamt fünf Festplatten durch einen Mitarbeiter im Kanzleramt seinen Grund darin hatte, dass Beweismittel zur „Ibiza-Affäre“ vernichtet werden sollten. Das Schreddern von Festplatten sei nicht ungewöhnlich. Dass der zuständige Beamte, der schon wegen seiner ÖVP-Vergangenheit im Fokus gestanden ist, mit der fallführenden Staatsanwältin im Zuge der Ermittlungen nicht Rücksprache gehalten hat – außer mit Kommunikationsschwierigkeiten –, sei nicht erklärbar.

Spenden an ÖVP: Keine Anhaltspunkte

In Sachen Spenden „am Rechnungshof vorbei“, wie Strache im „Ibiza-Video“ einen möglichen Alternativweg von Geldern an Parteien erklärte, bilanzierte der Verfahrensrichter: „Als wesentliches Ergebnis ist festzuhalten, dass die FPÖ-nahen Vereine Austria in Motion, Wirtschaft für Österreich und Patria Austria gegründet wurden, um Spendern, die eigentlich die FPÖ unterstützen wollten, die Möglichkeit zu geben, auch sehr große Summen an Vereine zu spenden, bei denen, schon mangels entsprechenden Internetauftritts, die FPÖ-Nähe nicht ohne weiteres erkennbar war.“

Es sind zwar Spenden im sechsstelligen Bereich geflossen, deren Verwendung nicht festgestellt werden konnte. Aber dass mit den Spenden an parteinahe Vereinen „bestimmte politische Handlungen bewirkt werden sollten, konnten nur in einem – von der Beweislage her aber eindeutigen – Fall getroffen werden“. So wurde ein Spender in den Aufsichtsrat der ASFINAG bestellt.

Auch ÖVP-nahe Vereine sind Teil des Berichtsentwurfs, darunter etwa das von Sobotka geleitete Alois-Mock-Institut. Die ÖVP habe nicht das Problem gehabt, dass ihre Spender „nicht an die Partei selbst Gelder überweisen wollten“. Es habe daher auch keine Konstruktion gebraucht, um Gelder verdeckt an die Partei leisten zu können, so Pöschl. „Es wurden keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Spender an ÖVP-nahe Vereine verwiesen wurden, um die Meldung an den Rechnungshof zu vermeiden.“

PRIKRAF: Veränderungen „sachlich“ nicht nachvollziehbar

Eine spannende Geschichte ist freilich der Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds (PRIKRAF), weswegen sich Strache als Angeklagter vor Gericht verantworten muss – es gilt die Unschuldsvermutung. Strache habe „mehrmals zugunsten der Privatkrankenanstalt Währing“ interveniert, damit diese in den Fonds aufgenommen wird. Die Privatklink fand schließlich 2019 seinen Weg in den PRIKRAF. Doch eine „sachliche Begründung für die Aufnahme der Privatklinik Währing“ lässt sich nicht finden.

Die Angeklagten Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache und Klinik-Betreiber Walter Grubmüller im großenen Schwurgerichtssaal im Landesgericht Wien
APA/Herbert Neubauer
Strache und Grubmüller müssen sich derzeit vor Gericht verantworten

Walter Grubmüller, Betreiber der Privatklinik Währing, spendete 10.000 Euro an die FPÖ. Pöschl schreibt: „Grubmüllers systematisch betriebene Vorgangsweise und seine Bekanntschaft mit Strache sowie seine Zuwendungen an diesen und die FPÖ waren wesentliche Ursache für die Aufnahme der Privatklinik Währing in den Prikraf.“ Auch Richtung ÖVP gab es eine Spende in zwei Tranchen zu jeweils 25.000 Euro, allerdings von der Uniqa-Tochter Premiqamed, die fünf Privatkrankenanstalten führt.

Mit der Aufnahme der Privatklinik Währing wurde gleichzeitig auch der Fonds um 14,7 Millionen Euro pro Jahr erhöht, wovon auch die Premiqamed profitierte. Die Erhöhung sei sachlich nicht nachvollziehbar, schreibt Pöschl und erläuterte: „Naheliegenderes Spendenmotiv ist die erwartete Unterstützung durch die ÖVP in dem Bestreben der Premiqamed Group, durch Aufnahme der Privatklinik Währing in den Prikraf keine Verluste zu erleiden, sondern vielmehr aus einem vergrößerten Fondsvermögen höhere Leistungen zu erhalten.“

Justizminister hätten mehr tun müssen

Freilich haben selbst die Ermittlungen rund um das „Ibiza-Video“ hohe Wellen geschlagen. So berichteten Staatsanwälte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) über Interventionen, die das Verfahren behindert hätten. Pöschl stellte ein „nicht behebbar zerrüttetes Verhältnis“ zwischen dem mittlerweile suspendierten Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, und dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Johann Fuchs, einerseits und der WKStA andererseits fest. Der U-Ausschuss habe „behindernde Verhaltensweisen von Pilnacek und Fuchs zutage gebracht“.

„Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Pilnacek und Fuchs Weisungen und Berichtsaufträge gaben, um politisch unliebsame Ermittlungen zu behindern, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Allerdings kann ein derartiges Verhalten auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Gleiche gilt für die sogenannten Leaks“, schreibt Pöschl. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass Regierungsmitglieder oder ranghohe Beamte Personen, die im „Ibiza“-Verfahren involviert sind, beeinflusst haben.

Zum Streit zwischen Pilnacek, Fuchs und der WKStA selbst schrieb Pöschl, dass das Justizministerium als Oberbehörde wenig getan hätte, um die verhärteten Fronten zu lockern. Es hätte „stringenterer Maßnahmen“ benötigt. Die ehemaligen Justizminister Josef Moser (auf ÖVP-Ticket) und Clemens Jabloner (Expertenregierung unter Brigitte Bierlein) hätten aktiver vorgehen müssen. „Die jeweiligen Justizminister trifft daher für die zutage getretenen Unzulänglichkeiten die politische Verantwortung.“

Beamte sollen warten müssen

Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung empfiehlt Verfahrensrichter Pöschl eine „Cooling-Off-Phase“ für Beamte, die sich für leitende Funktionen in staatsnahen Unternehmen bewerben wollen. Eine Wartezeit von zumindest einem Jahr soll vorgesehen werden, heißt es. Eine Änderung des Stellenbesetzungsgesetzes sollte festlegen, dass es zu keinen Absprachen mit dem Bewerber abseits des Besetzungsvorgangs kommt.

„Ibiza“-U-Ausschuss: Bericht vorgelegt

Der Verfahrensrichter des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses, Wolfgang Pöschl, hat am Freitag seinen Berichtsentwurf vorgelegt. Auf 870 Seiten fasst er in elf Kapiteln die Befragungen und Aktenvorlagen der vergangenen eineinhalb Jahre zusammen.

Auch die Trennung von Verwaltung und Gesetzgebung von den Interessen von Privatunternehmen sollte forciert werden. Bedeutet: Treffen und Gespräch sollten immer in den Akten festgehalten werden. Das Finanzministerium solle, wie bereits geplant, Teile seiner Zuständigkeit im Glücksspielbereich abgeben, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Und Bedingungen für die Aufnahme in den PRIKRAF sollten gesetzlich festgelegt werden.

Spannend ist auch, dass Pöschl eine Überarbeitung der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse empfiehlt. Eine solche sollte insbesondere in den Bereichen des Vorsitzes und der Aufgaben des Verfahrensrichters in Erwägung gezogen werden. Sobotka stand seit Beginn des U-Ausschusses in Kritik, da er selbst Kontakte zur Novomatic hat.