Der designierte Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/AFP/Joe Klamar
Nach vollständigem Kurz-Rücktritt

Nehammer vor Angelobung als Kanzler

Nach dem auf Raten vollzogenen Rücktritt von Ex-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz wird mit Karl Nehammer der zweite Bundeskanzler binnen Wochen angelobt. Zugleich wird auch das ÖVP-Regierungsteam an entscheidenden Stellen umgebaut. Mit Neuwahlforderungen und der vierten Pandemiewelle konfrontiert, müssen Nehammer und die Koalition rasch in die Gänge kommen.

Bevor Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag ab 13.00 Uhr die neue Regierungsriege der ÖVP angelobt, beendet dieser noch den Gesprächsreigen mit allen neu Anzugelobenden. Bereits am Samstag waren neben dem baldigen Kanzler Nehammer auch Alexander Schallenberg und Claudia Plakolm in der Hofburg. Schallenberg kehrt vom Bundeskanzleramt ins Außenministerium zurück, die JVP-Chefin und Nationalratsabgeordnete Plakolm zieht als Staatssekretärin zur Unterstützung Nehammers ins Kanzleramt.

Mit Gerhard Karner (ÖVP), der vom niederösterreichischen Landtag ins Innenministerium wechselt, und dem Staatssekretär Magnus Brunner, der das Finanzministerium von Gernot Blümel übernimmt, sprach Van der Bellen am Sonntag. Montagvormittag ist noch Martin Polaschek, der vom Rektorat der Uni Graz anstelle von Heinz Faßmann ins Bildungsministerium wechselt, an der Reihe.

Sebastian Kurz und Karl Nehammer
ORF.at/Roland Winkler
Bei der letzten Angelobung gratulierte Kurz noch Nehammer zum Ministeramt, diesmal ist dieser in der Rolle des Kanzlers

„Wir haben eine Pandemie zu bekämpfen“

„Es ist wichtig, dass wir rasch eine handlungsfähige Regierung haben, die ihre Arbeit aufnehmen kann. Wir haben eine Pandemie zu bekämpfen, das erfordert all unsere Kraft“, hatte Nehammer nach dem Gespräch mit der Bundespräsidenten am Samstag betont. Tatsächlich drängt die Zeit, schließlich soll dann die Pandemiebekämpfung wieder ganz oben auf der Agenda stehen. Denn kommende Woche ist nicht nur der Entwurf für die CoV-Impfpflicht fällig, sondern auch eine Entscheidung über weitere Maßnahmen. Der aktuelle österreichweite Lockdown soll ja am Samstag enden.

Die Angelobung bereits am Montag stelle sicher, „dass alle neuen Regierungsmitglieder ihre Amtsgeschäfte aufnehmen und sich den großen Herausforderungen widmen können, die vor uns allen liegen“. Nehammer weiter: „Ich danke Bundespräsident Alexander Van der Bellen für die sehr guten, wertschätzenden und konstruktiven Gespräche und die sehr vertrauensvoll abgestimmte Vorgangsweise“, so Nehammer.

„Das Einzige, was zählt, ist das CoV-Management“

Politologe Peter Filzmaier sagte im Ö1-Morgenjournal am Montag, es werde schwierig, sich abgesehen von der Pandemie noch anderen politischen Themen zu widmen. „Das Einzige, was zählt, ist das Coronavirus-Management“, so Filzmaier. Daran, dass man beispielsweise auch beim Budget schnell zu einem Ergebnis komme, sei nicht zu glauben. Die Vorwürfe, die alte Regierung (mit wechselnden Mitgliedern) habe von Welle zwei bis vier Fehler gemacht, gebe es nicht zu Unrecht. „Es hier besser zu machen wäre die einzige reale Chance für diese Regierung“, so Filzmaier. Ob das gelingt, bleibe abzuwarten.

Der Politologe warnte außerdem, dass sich Fehler im CoV-Management wiederholen könnten, und sprach die oberösterreichische Landtagswahl Ende September dieses Jahres an. Viel zu sehr habe man sich von politischen Interessen leiten lassen, so Filzmaier. Wenig später zeigten 7-Tage-Inzidenz und Intensivbettenbelegung, dass man eines Besseren beraten gewesen wäre.

Nun, so Filzmaier, stehe man 2023 erneut vor Landtagswahlen – und zwar in Niederösterreich, Kärnten, Tirol und Salzburg. „Und es wird schon wieder politisch, auch parteipolitisch, gedacht“, sagte der Politologe im Ö1-Morgenjournal. Dass einzelne Bundesländer auch innerhalb der ÖVP unterschiedliche Interessen verfolgen – der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) fordert etwa ein Ende des Lockdowns am 13. Dezember, während sich sein steirisches Pendant Hermann Schützenhöfer (ÖVP) vorsichtiger zeigt –, sei der Pandemiebekämpfung nicht förderlich.

Auf Bundesebene dürfe es jedenfalls nicht mehr passieren, so Filzmaier, dass „Kanzler und Gesundheitsminister sich auf öffentlicher Medienbühne widersprechen“, wie es zuletzt bei Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) der Fall war. Filzmaier traut Nehammer und den Grünen aber eine bessere Gesprächsbasis zu.

Öffentliche Ermahnung der ÖVP

Van der Bellen hatten sich Freitagabend mit einer TV-Ansprache an die Bevölkerung gewandt und dabei der ÖVP die Leviten gelesen. Er forderte die ÖVP dazu auf, das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen und sich darauf zu besinnen, dass es „um die Besetzung der höchsten Staatsämter geht und nicht um Parteilogiken“. Es dürfe nicht „nur auf Macht- und Einflusssphären geschaut“ werden, sondern auf die Menschen im Land und auf deren berechtigte Erwartungen.

Auch Rendi-Wagner sieht Gesprächsbedarf

Gesprächsbedarf ortet auch die Opposition: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner will rasch mit Nehammer sprechen, wie sie am Samstag in einer Pressekonferenz sagte. Die Regierung dürfe sich jetzt nicht aus ihrer Verantwortung stehlen – ihre einzige Existenzberechtigung sei es, in der akuten Pandemie weiteren Schaden von der Republik abzuwenden, so Rendi-Wagner. Nach dieser Akutphase müsse dann der Weg für eine Neuwahl frei gemacht werden.

Die SPÖ sei auch jetzt wie in der Vergangenheit bereit, die Regierung bei der Bewältigung der Viruswelle zu unterstützen, sei es bei der Umsetzung der Impfpflicht, sei es bei nötigen Maßnahmen. Wenn die Infektionszahlen stabilisiert seien, müsste aber eine Neuwahl stattfinden. Aufgrund des Fristenlaufs werde das frühestens Ende April der Fall sein können. Nötig sei dafür aber die Zustimmung von ÖVP oder Grünen – die Opposition könne alleine keine Wahlen erzwingen.

Karl Nehammer und Magnus Brunner
ORF.at/Roland Winkler
Ein gutes Zusammenspiel des neuen Kanzlers mit seinem neuen Finanzminister Brunner – hier bei der Angelobung im Jänner 2020 – wird entscheidend sein

Ludwig: „Niemand braucht jetzt Neuwahl“

Einen Widerspruch zum Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der im Ö1-Morgenjournal und im Nachrichtenmagazin „profil“ „jetzt“ eine Neuwahl ablehnte („Niemand braucht jetzt Neuwahl“), sah Rendi-Wagner nicht. Zunächst müsse die Krise gemeistert werden, dann erst solle der Urnengang stattfinden. Die Folgen der Pandemie würden das Land noch lange beschäftigen.

„Dafür braucht es eine Regierung, die voll handlungsfähig ist, die stabil ist.“ Anders würden sich die Herausforderungen der Pandemie bzw. deren Folgen nicht lösen lassen. Derzeit habe man aber den dritten Bundeskanzler in 52 Tagen, von denen sich zwei nie einer Wahl gestellt hätten, sowie schwerste Vorwürfe gegen eine „zerbröselnde“ ÖVP.

„Sehe Mehrheit für Neuwahl derzeit nicht“

Eine Neuwahl setze voraus, dass es eine Mehrheit dafür im Nationalrat gibt, „und die sehe ich derzeit nicht“, sagte Ludwig im Ö1-Journal. Solange die beiden Regierungsparteien miteinander tätig sein wollen, werde es diese Mehrheit auch nicht geben. Der Wiener Bürgermeister appellierte zur Zusammenarbeit aller Parteien. „Wir sollten alle an einem Strang ziehen wie am Anfang der Pandemie.“ Leider habe die Bundesregierung diesen Weg verlassen, hätte sie das nicht gemacht, „hätten wir uns viele Probleme, auch die vierte Welle erspart“, so Ludwig – mehr dazu in wien.ORF.at.

Sesselrücken in Kabinetten

Traditionell kommt es bei Wechseln in der Regierungsriege auch nachgeordnet – etwa in den Kabinetten und bei den Sprechern – zu einem Sesselrücken. Nehammer hatte bereits gesagt, dass der Kurz-Vertraute Bernhard Bonelli, der unter Schallenberg Kabinettschef im Kanzleramt geblieben war, ausgetauscht wird.

Laut „Standard“-Bericht wird Bonellis Vize Markus Gstöttner Kabinettschef von Nehammer werden. Neue Vize soll Vera Regensburger, derzeit Leiterin der ÖVP-Akademie, werden. Damit dürfte auch die Leitung der Akademie neu besetzt werden. Daniel Kosak, derzeit Sprecher von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), soll Kanzlersprecher werden.