Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskiy
Reuters/Ukrainian Presidential Press Service
Nach Putin-Rede

Kiew kontert Annexion mit NATO-Ansuchen

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Freitag Verträge zur Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten unterzeichnet und damit den Krieg weiter verschärft. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj konterte mit einem Antrag auf einen „beschleunigten“ NATO-Beitritt.

Gut sieben Monate nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine hat Russland vier Gebiete im Osten und im Süden des Landes annektiert. Putin unterschrieb am Freitag die Abkommen, mit denen die Einverleibung der besetzten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson besiegelt wurde. International werden die Annexionen nicht anerkannt.

Die westlichen Länder reagierten mit einer Lawine von Verurteilungen, weiteren Strafen für Russland und Hilfen für die Ukraine. Die USA kündigten Sanktionen gegen mehr als 1.000 Personen und Unternehmen an, die mit dem Einmarsch Russlands in Verbindung stehen. Die EU-Kommission legte bereits am Mittwoch einen Vorschlag für ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland vor.

Putin auf Konfrontationskurs

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Freitag Verträge zur Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten unterzeichnet und damit den Krieg weiter verschärft. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj konterte mit einem Antrag auf einen „beschleunigten“ NATO-Beitritt.

Russland blockiert Resolution in UNO-Sicherheitsrat

Im UNO-Sicherheitsrat verhinderte Russland wie erwartet mit einem Veto die Verabschiedung einer Resolution, mit der die Annexion verurteilt werden sollte. Zehn Länder stimmten am Freitag in New York für das von den USA und Albanien eingebrachte Dokument. Darin wird Russland zudem zum sofortigen militärischen Rückzug aus der Ukraine aufgefordert.

Vier Länder in dem mächtigsten UNO-Gremium mit insgesamt 15 Mitgliedern enthielten sich. Das waren China, Indien, Brasilien und Gabun. Russlands UNO-Botschafter Wassili Nebensja kritisierte die Abstimmung über den Resolutionsentwurf als Provokation und offen feindlichen Akt. Es wurde erwartet, dass der Resolutionsentwurf in dieser oder ähnlicher Form nun in den kommenden Tagen der UNO-Vollversammlung zur Abstimmung vorgelegt wird.

Moskau hatte in den vier Regionen zuvor Scheinreferenden organisiert, in denen die Bevölkerung angeblich für einen Beitritt zu Russland stimmte. Auch diese „Referenden“ wurden weltweit nicht anerkannt und als undemokratisch sowie völkerrechtswidrig verurteilt. Dennoch sagte Putin nun, die Annexion sei „der Wille von Millionen Menschen“, die in „ihre historische Heimat zurückzukehren“ wollten. Zusammen mit der bereits 2014 einverleibten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kontrolliert Russland damit nun sieben Monate nach Beginn seines Angriffskriegs rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets.

Karte zeigt Ostukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW, OCHA

Putin lässt sich feiern

Am Abend ließ Putin sein völkerrechtswidriges Vorgehen auf dem Roten Platz in Moskau feiern. Tausende, teils Russland-Fahnen schwenkende Menschen rief Putin auf, „Hurra“ zu rufen – „so, dass sie in Tausenden Kilometern Entfernung die Stimme des Roten Platzes hören“. Mit Blick auf die nun annektierten ukrainischen Gebiete sagte er: „Russland öffnet nicht nur seine Türen, sondern auch sein Herz. Herzlich willkommen zu Hause!“ Gemeinsam mit den vier Besatzungschefs der betroffenen Gebiete sang er anschließend die russische Hymne.

Russische Bürger mit Fahnen in Moskau
Reuters
Putin sprach vor jubelnden Menschen von einem „besonderen, historischen Tag der Wahrheit und Gerechtigkeit“

Ukraine macht „entscheidenden Schritt“ Richtung NATO

In Kiew tagte während Putins Rede der ukrainische Sicherheitsrat. Nach der Dringlichkeitssitzung kündigte Präsident Selenskyj einen „entscheidenden Schritt“ Richtung NATO-Beitritt an. Konkret werde man einen „beschleunigten“ Antrag stellen. „Real auf dem Schlachtfeld und in allen Aspekten unserer Interaktion“ habe die Ukraine „de facto“ bereits bewiesen, dass man mit den Bündnisstandards kompatibel sei, so Selenksyj: „Wir vertrauen einander, wir helfen einander und wir schützen uns gegenseitig. Das ist die Allianz.“

Ungeachtet der von Putin verkündeten Annexion werde die Ukraine auch die Befreiung der von Russland besetzten Gebiete fortsetzen. Für die Ukraine habe sich nichts geändert, so Außenminister Dmytro Kuleba, der via Twitter noch anmerkt: „Mit dem Versuch, die ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson zu annektieren, versucht Putin, sich Gebiete anzueignen, die er nicht einmal physisch kontrolliert.“

Analyse zu Folgen der Annexion

ORF -Korrespondentinnen Miriam Beller in Moskau und Raffaela Schaidreiter in Brüssel und ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz ordnen die offizielle Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete ein.

Selenskyj schloss Verhandlungen mit Putin aus. Die Ukraine sei bereit zum Dialog mit Russland – allerdings erst unter einem anderen russischen Präsidenten, sagte er.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte nach dem Aufnahmeersuchen die Politik der offenen Tür des Bündnisses. „Wir haben immer wieder erklärt, dass die Tür der NATO offen bleibt.“ Jede Demokratie in Europa habe das Recht, einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft zu stellen, betonte Stoltenberg. Das werde von den Verbündeten respektiert.

Eine Entscheidung müsse aber von allen Mitgliedstaaten im Konsens getroffen werden. Derzeit konzentriere man sich auf die unmittelbare Unterstützung der Ukraine. „Das ist das Hauptaugenmerk und die Hauptanstrengung der NATO-Verbündeten“, so Stoltenberg.

NATO sieht „entscheidenden Moment“ in Krieg

Das jüngste Vorgehen Russlands sieht Stoltenberg als schwerste Eskalation seit Beginn der Invasion am 24. Februar. „Das ist ein entscheidender Moment“, sagte der Norweger. Er verwies auf die Teilmobilisierung Russlands, nukleares Säbelrasseln und die unrechtmäßige Annexion ukrainischer Gebiete. „Nichts davon zeugt von Stärke. Es zeigt Schwäche“, sagte Stoltenberg. Das sei ein Eingeständnis, dass der Krieg nicht nach Plan verlaufe.

Stoltenberg betonte, wenn man die Annexion akzeptiere und sich vom nuklearen Säbelrasseln davon abhalten lasse, die Ukraine zu unterstützen, dann akzeptiere man nukleare Erpressung. Vielmehr müsse man die Ukraine weiter unterstützen. Die G7-Gruppe führender Industriestaaten bezeichnete die Annexion als „einen neuen Tiefpunkt der eklatanten Missachtung des Völkerrechts durch Russland“. Die Staaten stünden „unbeirrbar“ zur Ukraine und deren Recht, sich zu verteidigen und ihr Hoheitsgebiet von Russland zurückzuerlangen.