Man in einer Fabrik
IMAGO/Mou Yu
Motor stottert

Große Stolpersteine für Chinas Wirtschaft

Es ist ein herber Rückschlag für China: Am Dienstag verkündete das Nationale Statistikamt, dass das Wirtschaftswachstum im Vorjahr mit nur drei Prozent deutlich unter der Zielmarke der Regierung geblieben ist. Als Grund werden vor allem die strikten Coronavirus-Maßnahmen genannt. Mit den Lockerungen will die Regierung nun wieder auf die wirtschaftliche Überholspur. Doch gleich einige strukturelle Probleme stehen dem im Weg.

Eigentlich wollte China ein Wachstum von 5,5 Prozent erreichen. Die 3,0 Prozent, die es wurden, sind der geringste Wert seit über vier Jahrzehnten – mit Ausnahme des Pandemiejahres 2020. Vizeministerpräsident Liu He kündigte am Dienstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos konjunkturelle Fortschritte an.

Diese sollen insbesondere durch die Entfesselung der Binnennachfrage in dem Land mit seiner Milliardenbevölkerung zustande kommen. Die Regierung darf dabei auf Nachholeffekte hoffen: Nach fast drei Jahren striktem Coronavirus-Regime geht man davon aus, dass der Konsum der Haushalte sprunghaft ansteigt.

Zweifel an Rückkehr zu alter Stärke

Expertinnen und Experten sind insgesamt aber weniger optimistisch: Zwar werden wieder Wachstumsraten um die fünf Prozent erwartet, an Marken wie 8,4 Prozent wie noch im Jahr 2021 wird China aber nur schwer wieder anschließen können. Die einstige Wachstumslokomotive der Welt werde dauerhaft deutlich weniger Zugkraft entwickeln, heißt es.

Das aktuell größte Fragezeichen ist die Coronavirus-Lage im Land. Liu meinte in Davos, die Lage sei mittlerweile unter Kontrolle. „China hat den Höhepunkt der Infektionen überschritten“, sagte er in der Schweiz. Vom Höhepunkt der Infektionen zur Rückkehr zur Normalität sei es nur eine kurze Zeitspanne.

Coronavirus wirklich überstanden?

Die kommunistische Führungsriege hatte im Dezember unter dem Eindruck der lahmenden Wirtschaft und nach regierungskritischen Protesten eine abrupte Abkehr von ihrer strikten Null-Covid-Politik verkündet. Folge war eine enorme Infektionswelle, da die Bevölkerung – anders als in anderen Ländern durch Impfungen und vorangegangene Infektionen – kaum Immunität aufgebaut hat.

Nach Kritik hatte China erst am Wochenende die Todeszahlen seit den Lockerungen stark nach oben korrigiert, auf fast 60.000 Todesfälle alleine zwischen 8. Dezember 2022 und 12. Jänner 2023. Doch auch an diesen Zahlen gibt es Zweifel: Mediziner berichteten gegenüber Reuters, sie seien angehalten worden, als Todesursache nicht Atemversagen nach Covid-19-Erkrankung in die Sterbeurkunde zu schreiben.

Dass China das Problem mit einer Durchseuchung binnen weniger Wochen schon gelöst hat, scheint unwahrscheinlich. Zum Neujahrsfest am 22. Jänner reisen Millionen Chinesinnen und Chinesen durch das Land, eine erneute Verschärfung der Situation wird erwartet.

Immobilienkrise noch nicht ausgestanden

Ebenfalls noch nicht ausgestanden ist die Krise im Immobiliensektor, der zusammen mit der Baubranche über ein Viertel zur Wirtschaftskraft beiträgt. Die Branche steckt in der Krise, seit Peking 2020 Kreditvergaben und Spekulationen regulierte. Das brachte den Immobilienriesen Evergrande ins Wanken, der auf einem Berg von Schulden sitzt und seine Bauversprechen nicht einhalten kann.

Mehrere andere große Unternehmen drohten mitgerissen zu werden. Im November kündigte die chinesische Regierung große staatliche Geldspritzen für den Immobiliensektor an, seitdem herrscht – auch bei westlichen Investoren – die Hoffnung, dass der Bereich wieder lukrativ wird.

Kleinere Unternehmen in der Bredouille

Die „Financial Times“ wiederum wies darauf hin, dass Klein- und Mittelbetriebe, als Letztere gelten Unternehmen bis zu 1.000 Arbeitnehmerinnen und –nehmer, ein wesentlicher Faktor für den Aufschwung sind. Und dort gebe es derzeit auch Probleme, so die Zeitung. Die Unternehmen seien für mehr als 50 Prozent der Wirtschaftsleistung und der Steuerleistung verantwortlich.

Doch vor allem durch die Pandemiemaßnahmen seien viele Firmen in der Krise. Verschärft worden sei diese, weil viele Regionen und Städte die Lohnnebenkosten, insbesondere Sozialversicherungsbeiträge erhöht hätten. Auch die Löhne selbst seien zuletzt stärker gestiegen, ausgehend von Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor.

Doch auch die großen Unternehmen, allen voran Tech-Fabriken, haben zu kämpfen. Aufgrund der zunehmenden politischen Polarisierung zwischen China und dem Westen verlegen vor allem erste US-Firmen ihre Fertigung in andere Länder, besonders nach Vietnam.

Schon jetzt fehlen Arbeitskräfte

Umgekehrt erleben einige Fabriken aber auch schon einen Vorgeschmack, was Chinas größte Herausforderung werden dürfte: Arbeitskräftemangel. Auf dem Papier habe China zwar noch Millionen derzeit erwerbslose junge Menschen, doch 80 Prozent aller Fabriken hätten im vergangenen Jahr bereits Probleme mit fehlenden Arbeitskräften gehabt, berichtete Reuters unter Berufung auf eine Umfrage von CIIC Consulting.

Ebenfalls am Dienstag gab das nationale Statistikbüro bekannt, dass Chinas Bevölkerung erstmals seit der großen Hungersnot vor 60 Jahren geschrumpft ist. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger gab es Ende 2022 mit 1,41 Mrd. an, etwa 850.000 weniger als im Jahr zuvor. Das markiert auch eine Zeitenwende für die Wirtschaft: „Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind viel düsterer als erwartet“, bewertete der Experte für die Bevölkerungsentwicklung, Yi Fuxian, die neuen Daten.

„Demografische Zeitbombe“ tickt

Als Grund für die Entwicklung gilt insbesondere die Einkindpolitik von 1980 bis 2011. Doch mit steigendem Wohlstand wurden auch – wie überall auf der Welt – weniger Kinder geboren. Zudem schrecken hohe Kosten für die Bildung viele Chinesen davon ab, mehr als ein Kind oder überhaupt Kinder zu haben. Die strenge Null-Covid-Politik der Regierung verschärfte die Lage weiter.

Die „demografische Zeitbombe beginnt zu ticken“, schrieb die „Asia Times“. Und auch die „New York Times“ nannte gleich mehrere Gründe, wieso die Entwicklung für die Wirtschaft – und damit auch China – gefährlich ist. Mit vergleichsweise geburtenschwachen Jahrgängen der vergangenen Jahrzehnten droht eine rasche Überalterung der Bevölkerung. Das sei eine enorme Herausforderung für das staatliche Pensionssystem – bei einem sehr niedrigen Pensionsantrittsalter von zumeist rund 60 Jahren – und auch für das Gesundheitswesen.

Suche nach neuem Wirtschaftsmodell nötig?

Weniger Menschen bedeute auch weniger Inlandsnachfrage – und das gelte nicht nur für klassische Konsumgüter, sondern etwa auch für den Immobiliensektor. Doch das größte Problem sei wohl der Arbeitskräftemangel, wenn China seine Wirtschaftsstruktur beibehalte.

„Jahrelang trieb Chinas riesige Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter den globalen Wirtschaftsmotor an und lieferte die Fabrikarbeiter, deren billige Arbeitskraft Waren produzierte, die in die ganze Welt exportiert wurden“, schrieb die Zeitung. Für ein solches Wirtschaftsmodell könnten aber bald die Arbeitskräfte fehlen.

China müsste also versuchen, andere Wirtschaftsfelder aufzubauen, die weniger auf intensiven Personaleinsatz angewiesen sind. Ein solcher Totalumbau der Wirtschaft scheint aber schwierig – auch weil sich das Land eine völlig neue Rolle in der Weltwirtschaft suchen müsste.