Frau steht vor einem Gemüseregal in einem Supermarkt
ORF.at/Lukas Krummholz
Hohe Inflation

„Lebensmittelgipfel“ wirft Schatten voraus

Montagvormittag haben im Sozialministerium Gespräche über die Preisanstiege bei Nahrungsmitteln begonnen. Konkret soll die Lebensmittelbranche erklären, wie es zu den hohen Preisen in den Regalen gekommen ist. Zum „Lebensmittelgipfel“ sind auch Fachleute eingeladen. Ob es Maßnahmen geben wird, ist unklar. Am Wochenende konnte man jedenfalls sehen, welche Schritte die Koalitionsparteien präferieren.

Angekündigt wurde der Gipfel von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne). Mit dabei sind aber auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP). Sie wollen gemeinsam mit Vertretern des Lebensmittelhandels und weiteren Expertinnen und Experten die Ursachen für die Preissteigerungen diskutieren und mögliche Lösungsansätze finden. Rauch hatte in den vergangenen Wochen mehrfach kritisiert, dass bei Lebensmittelpreisen die Teuerung überdurchschnittlich sei.

Am Samstag machten Kogler und Rauch auch in den sozialen Netzwerken Werbung für ihr Anliegen. „Die Teuerung wird im Alltag der Menschen ein immer größeres Problem“, sagt der Vizekanzler in einem Video, in dem auch sein Parteikollege zu Wort kommt: „Beim Einkauf, an der Supermarktkassa, da merken die Leute, das geht sich nicht mehr aus.“ Beide lobten die bisherigen Maßnahmen der Regierung. Nun müsse auf die Lebensmittelbranche geschaut werden. Es sei nämlich nicht mehr hinzunehmen, dass „in Österreich für das völlig gleiche Produkt zehn bis 20 Prozent mehr bezahlt wird als in Deutschland“, so Kogler.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne)
IMAGO/SEPA.Media/Michael Indra
Die Initiative für den „Lebensmittelgipfel“ ging von Rauch aus

Totschnig verwies laut „Kurier“ auf die in den vergangenen Monaten deutlich gesunkenen Erzeugerpreise in der Landwirtschaft, die sich an der Supermarktkassa aber noch wenig bemerkbar machten. Es brauche Klarheit, an welcher Stelle in der Lebensmittelkette die Senkungen nicht weitergegeben werden, so der Minister.

Debatte über Mehrwehrtsteuersenkung

Am Sonntag betonte der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Klaus Neusser, in der ORF-"Pressestunde, dass das Niveau der Inflation im Bereich der Lebensmittel zwar im Vergleich zu Deutschland hoch sei, der Preisanstieg liege aber unter dem EU-Durchschnitt und sei auch geringer als in Deutschland. Getrieben werde die Inflation hierzulande vor allem vom Energiesektor sowie vom Freizeit- und Gastronomiesektor. Das derzeitige Narrativ sei falsch, so Neusser.

Lebensmittelmarkt

In den letzten 30 Jahren ist es in Österreich zu einer starken Konzentration bei Supermarktketten gekommen. Die drei größten Lebensmitteleinzelhändler – Spar, Rewe und Hofer – nahmen laut dem Marktforscher RegioData zusammen zuletzt etwa 84 Prozent des gesamten Marktes ein.

Die Debatte über die weiterhin hohe Inflation im Lebensmittelbereich (zuletzt bei mehr als 14 Prozent) läuft seit Monaten. Im Gegensatz zu anderen Ländern griff die heimische Regierung nicht aktiv in den Markt ein, etwa mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Eine solche schloss Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) am Samstag erneut aus. In anderen europäischen Ländern habe man gesehen, dass diese Maßnahme nicht oder nur teilweise an die Endkonsumentinnen und -konsumenten weitergegeben werde, sagte er.

Außerdem handle es sich dabei um eine „Gießkannenmethode“, von der vor allem Menschen mit höheren Einkommen besonders stark profitieren würden. „Also ob das gescheit ist, ist die Frage.“ Die Opposition hatte in den vergangenen Monaten die Regierung scharf für ihre „Gießkannenpolitik“ und Einmalzahlungen kritisiert. Zuletzt hatte Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer betont, dass Vizekanzler Kogler bereits vor einem Jahr vorgeschlagen habe, über eine Senkung nachzudenken. SPÖ und die FPÖ befürworten eine solche Maßnahme.

„Gegen Transparenz kann man nichts haben“

Während der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr, zuletzt für eine ergebnisoffene Diskussion über die Mehrwertsteuersenkung plädierte, hielt sich Neusser eher zurück. Preiseingriffe lehnt der Ökonom ab, wie er in der ORF-„Pressestunde“ sagte. Eine Mehrwertsteuersenkung für bestimmte Lebensmittel würde die Nachfrage und damit die Inflation befeuern. Er halte die Entscheidung, die Kaufkraft zu stärken, für richtig, „allerdings ist das Problem, dass wir zu sehr mit der Gießkanne gearbeitet haben“.

Es sei richtig, dass etwa in Spanien die Inflation deutlich geringer sei, allerdings sei dort die Kaufkraft real gesunken. „Da lebe ich lieber in Österreich, wo die Kaufkraft nicht zurückgeht.“ Neusser wird am „Lebensmittelgipfel“ teilnehmen. Zur Sprache kommen dürfte dort auch, wie man für mehr Transparenz bei den Lebensmittelpreisen und für mehr Wettbewerb sorgen könnte. „Gegen Transparenz kann man natürlich nichts haben, da bin ich sicher auch dafür“, sagte Neusser, auch wenn das im Lebensmittelbereich schwieriger wäre als bei den Spritpreisen.

Die Gewerkschaft will etwa, dass Supermärkte künftig ihre Einkaufs- und Verkaufspreise an eine Beobachtungsstelle melden müssen, die die Gewinne der Lebensmittelhändler kontrolliert. WIFO-Ökonom Josef Baumgartner ist aber skeptisch, weil das Betriebsgeheimnisse der Produzenten und der Handelsketten seien, „und die werden diese Daten nicht freiwillig hergeben“. Auch Preisvergleich-Apps wurden bereits ins Feld geführt. Das wäre laut Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), für den Handel aber „ein irrer bürokratischer Aufwand“.

Auch im Energiesektor gebe es keine Preistransparenz, sagte Trefelik gegenüber Ö1. Über eine Veröffentlichung der Preise einzelner Produkte könne man reden, aber es gebe „kein Urmaß bei Butter, Reis oder Mehl“, die Qualitäten seien unterschiedlich, Preisvergleiche daher anders als bei Benzin schwierig.

Brunner setzt auf Freiwilligkeit

Dass der Gipfel eine verpflichtende Maßnahme vorsehen wird, kann aber bezweifelt werden. Denn die ÖVP will weiterhin auf Freiwilligkeit setzen. Am Samstag brachte Brunner nämlich mit dem „französischen Modell“ eine neue Maßnahme ins Spiel. Dieses sieht vor, dass sich Lebensmittelhändler und Politik auf zeitlich befristete „Antiinflationspreise“ verständigen. In Frankreich gilt die Aktion seit März und läuft noch bis Mitte Juni. Allerdings beteiligen sich nicht alle Supermärkte an der Maßnahme. Zudem gibt es auch keine Liste an Produkten, die von der Teuerung ausgenommen werden sollen.

Ein Einfrieren der Preise für bestimmte Lebensmittel für eine gewisse Zeit wie in Frankreich hält Neusser für überlegenswert. „Alles, was auf freiwilliger Basis gemacht wird, ist sicher gut. Wir haben in Österreich mit den Sozialpartnern auch ein Vehikel, das das umsetzen kann“, so der IHS-Chef. Gemeinsam mit den Sozialpartnern könne ein solcher Plan ausgearbeitet werden. Allerdings, so Neusser, sollte man die Maßnahme in Frankreich nicht überbewerten.

IHS-Chef Neusser zur Inflationsbekämpfung

Der Chef des Instituts für Höhere Studien, Klaus Neusser, war am Sonntag zu Gast in der ORF-„Pressestunde“. Dort hat er unter anderem über die wichtige Unterscheidung zwischen Inflationsbekämpfung und Sozialpolitik gesprochen.

Kritik an Brunners Aussagen kam von SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer. Die Menschen könnten sich nach einem Jahr Rekordinflation den täglichen Einkauf und die Miete oft nicht mehr leisten, „aber Finanzminister Brunner und die Regierung schauen nur zu und erklären, ohnehin genug getan zu haben“. Die Regierung solle angesichts ihres „Totalversagens“ den Weg für Neuwahlen freimachen. NEOS-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker kritisierte wiederum, dass die bisherigen „zügellosen Fördergelder für jeden“ zu einer weit höheren Inflation als in anderen Ländern geführt hätten.

Will: Der Wettbewerb ist perfekt

Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will wies indes für seine Branche jede Schuld an der Teuerung zurück. Bei der Teuerung würden Ursache und Wirkung verwechselt, sagte Will am Sonntag in der ZIB2 und fügte noch hinzu: „Die Ursache sind die durch die Decke gehenden Energiekosten, die Mietpreissteigerung und die Personalkosten, aber auch die Finanzierungskosten der Banken.“

Handelsverband-Sprecher Rainer Will zur Teuerung

Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will hat am Sonntagabend in der ZIB2 für seine Branche jede Schuld an der Teuerung zurückgewiesen.

Das von Brunner angedachte französische Modell, das ein temporäres Einfrieren der Preise bestimmter Lebensmittel vorsieht, sei „nicht möglich“, so Will: „Wenn die Inflation durch die anderen Treiber steigt, können wir die Preise nicht halten.“ Zwar wird der Lebensmittelmarkt in Österreich fast zur Gänze von den vier großen Ketten REWE, Spar, Hofer und Lidl kontrolliert, doch könne keiner dieser Händler seine Preise erhöhen, weil er sonst Kunden verlieren würde, argumentiert Will. „Daher ist der Wettbewerb perfekt.“