Satellitenbild zegt Al-Schifa Krankenhaus in Gaza
Reuters/Maxar
Gaza

USA warnen vor Gefechten in Spitälern

Die Kampfhandlungen zwischen der israelischen Armee und der Hamas haben zuletzt verstärkt in der Nähe von Krankenhäusern getobt. Die israelische Armee wirft der Terrororganisation Hamas vor, Spitäler gezielt für militärische Zwecke zu missbrauchen. Unter dem Schifa-Krankenhaus soll etwa die Kommando- und Einsatzzentrale der Hamas liegen, so der Vorwurf – den am Sonntag auch der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, erneuerte. Zugleich warnte er vor Gefechten in Spitälern.

Die USA „wollen keine Feuergefechte in Krankenhäusern sehen, bei denen unschuldige Menschen, Patientinnen und Patienten, die medizinisch versorgt werden, ins Kreuzfeuer geraten“, so Sullivan. Man habe mit den israelischen Verteidigungskräften aktiv darüber beraten, so Sullivan in der Sendung „Face the Nation“ von CBS News.

Dass die Hamas „Spitäler wie viele andere zivile Einrichtungen als Kommando- und Kontrollzentrum, als Waffenlager und als Unterkunft für ihre Kämpfer nutzt“, sei ein „Verstoß gegen die Kriegsgesetze“, so Sullivan. Im Gazastreifen gibt es die Befürchtung, dass etwa dem Schifa-Spital zeitnah ein großangelegter israelischer Einsatz bevorstehen könnte.

„Menschliche Schutzschilde“: EU-Vorwurf gegen Hamas

Auch die Europäische Union warf der Hamas vor, Spitäler sowie Zivilistinnen und Zivilisten im Gazastreifen als „menschliche Schutzschilde“ zu benutzen. In einer Erklärung, die der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Sonntag im Namen der EU verbreitete, wurde Israel zugleich zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ aufgerufen, um das Leben von Zivilistinnen und Zivilisten zu schützen.

„Zivilisten müssen die Möglichkeit haben, das Kampfgebiet zu verlassen.“ Borrell beklagte schwere Folgen der Kampfhandlungen für die Krankenhäuser im Gazastreifen und „schreckliche Folgen für Zivilisten und medizinisches Personal“. Das humanitäre Völkerrecht schreibe vor, dass Krankenhäuser, medizinische Versorgung sowie Zivilistinnen und Zivilisten in Krankenhäusern geschützt werden müssten, betonte er.

WHO: Wieder Kontakt zu Schifa-Klinik – Lage verheerend

Augenzeugen zufolge befinden sich Tausende Menschen in und um das Schifa-Krankenhaus, darunter Verletzte, die nicht transportfähig sind, medizinisches Personal sowie Schutzsuchende. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte am Abend mit, man habe es nach einer Unterbrechung geschafft, wieder Kontakt zu Mitarbeitenden des Schifa-Krankenhauses herzustellen.

Israel weist Vorwürfe zurück

Palästinenserinnen und Palästinenser beklagen, dass das größte Spital in Gaza keinen Treibstoff mehr hat. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wiederum erklärte, dass die Hamas Treibstofflieferungen unterbunden hatte. Auch die Vorwürfe, Israel würde Krankenhäuser beschießen, weist Netanjahu zurück.

Die Lage sei verheerend und gefährlich, teilte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus via Twitter (X) mit. Der ständige Beschuss und die Bombardierungen in der Region hätten die ohnehin schon kritischen Umstände noch verschlimmert. Die Zahl der Todesfälle unter den Patientinnen und Patienten sei erheblich gestiegen. Die Klinik funktioniere als Krankenhaus nicht mehr. Der WHO-Chef forderte eine sofortige Feuerpause.

Von der Hamas – laut der Nachrichtenagentur Reuters konkret von einem mit den Verhandlungen vertrauten Beamten – hieß es gleichzeitig, dass man die Verhandlungen über Geiseln aufgrund des israelischen Vorgehens gegen das Schifa-Krankenhaus aussetze. Das Spital sei unter heftigen Beschuss geraten, als die israelischen Streitkräfte sich der Einrichtung näherten, so die Behauptung.

Israel: „Hamas lügt über das, was in Spitälern passiert“

Das israelische Militär hingegen wies Vorwürfe zurück, es feuere auf das Krankenhaus. Man feuere nicht auf das Spital, doch gebe es Gefechte mit Hamas-Terroristen in dessen Umgebung, sagte ein Armeeoffizier. „Die Hamas lügt über das, was in den Krankenhäusern passiert“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari.

Die Menschen könnten das Krankenhaus noch immer sicher verlassen, erklärte Oberst Mosche Tetro von COGAT, einer Einheit des israelischen Verteidigungsministeriums, die mit Palästinenserinnen und Palästinensern in zivilen Angelegenheiten zusammenarbeitet. Die Ostseite des Geländes stehe für jeden offen, der sich in Sicherheit bringen wolle.

Spitäler in Gaza laut OCHA-Datenbank und OpenStreetMap-Einträgen, zum Zoomen Touchscreen oder blaue Buttons (rechts) verwenden

Ähnlich äußerte sich ein Armeesprecher in Tel Aviv. „An dem Krankenhaus wird weder geschossen noch wird es belagert“, sagte er. Die israelischen Truppen unterstützten jeden, der das Krankenhaus sicher verlassen wolle. Die Mitarbeitenden des Krankenhauses hätten um die Evakuierung der Babys in ein sichereres Spital gebeten, so Militärsprecher Hagari. „Wir werden die nötige Unterstützung leisten.“

Schifa-Klinikchef dementiert Abweisung von Treibstoff

Zugleich dementierte der Leiter des Schifa-Krankenhauses am Sonntag Angaben Israels, denen zufolge seine Klinik eine Versorgung mit Treibstoff unter Druck der Hamas zurückgewiesen haben soll. Klinikchef Mohammad Abu Salamia sprach von einer „Lüge und Diffamierung“.

Das israelische Außenministerium hatte berichtet, die Hamas habe die Klinik daran gehindert, 300 Liter Treibstoff zu nutzen, die israelische Soldaten am Samstagabend in Behältern neben dem Krankenhaus abgestellt hätten. Abu Salamia wies die Berichte über die abgestellten Behälter zwar nicht zurück. Er sagte jedoch, diese Menge würde „keine Viertelstunde“ für den Betrieb der Generatoren reichen.

Beschuss befürchtet

Laut dem Klinikchef befürchte das Team außerdem, beschossen zu werden, wenn es die Klinik verlasse, um die Behälter zu nehmen. Wenn Israel wirklich Treibstoff liefern wollte, hätte es diesen in Kooperation mit dem Roten Kreuz oder einer anderen internationalen Organisation schicken können, so Abu Salamia.

Armeesprecher Richard Hecht sagte, die COGAT-Behörde habe mit dem Krankenhaus gesprochen, bevor die Behälter abgestellt wurden. „Sie haben den Treibstoff noch nicht genommen, vielleicht hat die Hamas sie daran gehindert“, sagte er.

Ein Chirurg des Schifa-Spitals, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitet, berichtete unterdessen über den Tod zweier Frühchen aufgrund von Stromausfällen. Auch ein erwachsener Patient sei wegen des Ausfalls seines Beatmungsgeräts gestorben, hieß es. Es gebe kein Wasser, keinen Strom und keine Lebensmittel für die Patientinnen und Patienten.

Neue Signale zu Verhandlungen über Geiseln

Unterdessen hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vorsichtig Hoffnung auf eine mögliche Freilassung weiterer Geiseln aus den Händen der islamistischen Hamas gemacht. Auf die Frage, ob eine solche Vereinbarung kommen könnte, sagte Netanjahu am Sonntag dem US-Fernsehsender NBC: „Es könnte sein, aber ich denke, je weniger ich darüber sage, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zustande kommt.“

Andeutungen zu Verhandlungen

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat in einem Interview mit dem US-Fernsehsender NBC die Möglichkeit eines Abkommens über die Freilassung einiger der von der Hamas verschleppten Geiseln angedeutet.

Falls das gelinge, sei es allein Ergebnis von militärischem Druck, betonte Netanjahu. „Das ist das Einzige, was zu einer Einigung führen könnte.“ Erst mit der Bodenoffensive des israelischen Militärs im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen habe es Bewegung in den Verhandlungen gegeben. „Wir werden darüber sprechen, wenn es so weit ist, und es ankündigen, wenn es zustande gekommen ist.“

NBC und andere US-Medien berichteten unter Berufung auf Regierungskreise, diskutiert werde, dass die Hamas etwa 80 Frauen und Kinder freilassen könnte – im Gegenzug für palästinensische Frauen und Teenager, die in Israel in Gewahrsam seien. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht. Auch Netanjahu ging in keiner Weise auf Details der kolportierten Bedingungen ein.

USA und Katar in Verhandlungen eingebunden

In die Verhandlungen sind auch die USA und Katar involviert. US-Präsident Joe Biden und der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, seien sich einig, „dass alle Geiseln unverzüglich freigelassen werden müssen“, hieß es Sonntagabend nach einem Telefonat der beiden Staatschefs.

Nach Angaben des Weißen Hauses sprachen die beiden über die diesbezüglichen „dringlichen Bemühungen“. Die katarische Regierung teilte mit, der Emir habe auch die Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands im Gazastreifen und einer dauerhaften Öffnung des Grenzübergangs Rafah nach Ägypten betont.

Israel: Fluchtkorridor geöffnet

Israels Armee hat der Zivilbevölkerung im umkämpften nördlichen Gazastreifen am Sonntag ein neues Zeitfenster für die Flucht in den Süden genannt. Der Fluchtkorridor sei demnach mehrere Stunden lang geöffnet gewesen. Israelischen Armeeangaben zufolge bewegten sich allein in den vergangenen drei Tagen 150.000 Menschen in den Süden.

Im Zusammenhang mit dem neuerlichen Evakuierungsaufruf kündigte die israelische Armee für zwei Gebiete in Nordgaza auch eine „taktische Pause“ der Kämpfe zu „humanitären Zwecken“ an. Israel operiert mittlerweile auch mit Bodentruppen in weiten Teilen des nördlichen Gazastreifens. Laut Augenzeugenberichten fuhren israelische Panzer auf zentralen Straßen der Stadt Gaza.