Aufsteigender Rauch in Chan Junis, Gazastreifen
APA/AFP/Said Khatib
Gazastreifen

Israel treibt Offensive im Süden voran

Die israelische Armee treibt ihre Offensive gegen die radikalislamische Hamas im Süden des Gazastreifens weiter voran. Laut der Nachrichtenagentur AFP gab es Sonntagfrüh neuerliche Angriffe in dem Gebiet. Die israelische Armee setzte auch ihr Bombardement von Zielen im Gazastreifen fort. Am Samstag seien mehr als 250 Ziele am Boden, aus der Luft und vom Meer aus angegriffen worden, teilte die Armee am Sonntag mit. Unterdessen gab es erneut gegenseitigen Beschuss an der Grenze zum Libanon.

In den Stunden zuvor hätten die Truppen Waffenlager zerstört, gezielte Vorstöße auf Militäranlagen vorgenommen, unterirdische Tunnel zerstört sowie Angriffspläne von Terrorzellen zunichtegemacht. Kampfflugzeuge hätten zudem in der Nacht im Verbund mit Bodentruppen eine neben einer Moschee im Süden des Gazastreifens gelegene militärische Kommunikationsanlage der islamistischen Hamas getroffen.

In der südlichen Stadt Chan Junis, die als Hamas-Hochburg gilt und in der Israels Armee seit Tagen kämpft, seien am Vortag Tunnelschächte mit Präzisionswaffen attackiert worden, teilte das israelische Militär weiter mit.

Eine „Terrorzelle“, die nachrückende israelische Truppen in dem Gebiet angreifen wollte, sei mit Hilfe einer Drohne ausgemacht und daraufhin ausgeschaltet worden, hieß es. Der arabischsprachige Sprecher Israels veröffentlichte am Samstag bereits eine Karte auf X (Twitter), auf der sechs Blöcke von Chan Junis markiert waren, die „dringend“ evakuiert werden sollten.

„Heftige Kämpfe“ rund um Chan Junis

Eine Quelle aus dem Umfeld von Hamas und Islamischer Dschihad sagte der Nachrichtenagentur AFP, Kämpfer beider Islamistengruppen lieferten der israelischen Armee rund um Chan Junis „heftige Kämpfe“. Nach Angaben von Israels Generalstabschef Herzi Halevi „intensivierte“ die Armee dort ihre Offensive. „Wir müssen den Druck erhöhen“, sagte Halevi am Samstagabend. Israels Sicherheitsberater Zachi Hanegbi sagte im Fernsehen, seit Kriegsbeginn seien mehr als 7.000 Hamas-Kämpfer getötet worden.

Sonntagfrüh erklärte das israelische Militär (IDF) zudem auf Telegram, in den letzten 24 Stunden „über 250 Terrorziele“ der Hamas getroffen zu haben. IDF-Truppen hätten Waffenlager ausfindig gemacht und zerstört, gezielte Angriffe auf militärische Einrichtungen durchgeführt, unterirdische Terrortunnelschächte zerstört sowie bewaffnete Terrorzellen vereitelt, die einen Angriff auf IDF-Truppen geplant hätten, heißt es. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Netanjahu: Krieg für Eliminierung der Hamas nötig

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies unterdessen internationale Aufrufe zur Beendigung des Gaza-Krieges zurück. Das sei unvereinbar mit dem Kriegsziel, die Hamas zu vernichten, sagte er bei einer Kabinettssitzung am Sonntag. Er habe den Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder gesagt: „Sie können nicht einerseits die Eliminierung der Hamas unterstützen und uns andererseits dazu drängen, den Krieg zu beenden, was die Eliminierung der Hamas verhindern würde.“

Guterres beklagt „Lähmung“ des Sicherheitsrates

Zwei Tage nach dem Scheitern einer Resolution über eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen beklagte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres eine „Lähmung“ des UNO-Sicherheitsrates. In einer Rede auf dem Doha-Forum im Emirat Katar sagte Guterres am Sonntag, das höchste UNO-Gremium sei „durch geostrategische Spaltungen gelähmt“ und daher nicht in der Lage, Lösungen für Ende des durch den Hamas-Angriff auf Israel ausgelösten Krieges gegen die islamistische Palästinenserorganisation zu finden.

Die „Autorität und die Glaubwürdigkeit“ des UNO-Sicherheitsrates seien durch die verzögerte Reaktion auf den Gaza-Krieg „ernsthaft untergraben“ worden, sagte Guterres. Er habe seinen Appell für eine humanitäre Waffenruhe wiederholt. Bedauerlicherweise habe es der UNO-Sicherheitsrat aber „versäumt“, ihn umzusetzen. Die Resolution war am Freitag am Veto der USA gescheitert.

Netanjahu: Krieg geht weiter

Premierminister Netanjahu begrüßte das US-Veto gegen eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats, die einen sofortigen humanitären Waffenstillstand in Gaza forderte.

Katar will sich trotz ungünstiger Aussichten weiter um die Vermittlung einer neuen Waffenruhe im Gaza-Krieg bemühen. Zwar würden die Chancen schwinden, doch wolle man weiterhin Druck auf Israel und die Hamas ausüben, um eine Feuerpause zu erreichen, sagte Ministerpräsident Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani.

Kämpfe auch an Grenze zum Libanon

Auch an Israels Grenze zum Libanon kam es am Sonntag erneut zu gegenseitigen Angriffen. Nach libanesischen Medienberichten griff die israelische Artillerie Ziele im südlichen Libanon an. Videoaufnahmen zeigten schwere Explosionen. Im Norden Israels hatten in der Früh die Warnsirenen geheult. Der öffentlich-rechtliche israelische TV-Sender Kan berichtete, ein „verdächtiges Flugobjekt“ sei aus dem Libanon eingedrungen und von der israelischen Armee abgeschossen worden. Außerdem seien zwei Positionen auf der israelischen Seite vom Libanon aus angegriffen worden.

Der israelische Nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi hatte Samstagabend angedeutet, die Konfrontationen mit dem Libanon könnten sich nach dem Gaza-Krieg ausweiten. Israel werde es nicht länger dulden können, dass Hisbollah-Truppen sich nahe der Grenze aufhalten, so Hanegbi.

WFP kritisiert Situation in Gaza

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) gab an, für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen fast keine humanitäre Hilfe mehr leisten zu können. „Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagte Martin Frick, Leiter des Berliner Büros des Programms, am Sonntag in Dubai, wo es ein Warenlager, einen Global Hub, für die Gaza-Hilfe betreibt.

Seit Kriegsbeginn am 7. Oktober sind nach seinen Angaben insgesamt nur gut 1.800 Lastwagen in den Gazastreifen gelangt. „Zu Friedenszeiten waren das 10.000 pro Monat“, sagte er. Nun fehle im Gazastreifen seit Wochen alles Wesentliche, so Frick weiter: Lebensmittel, Wasser, Medikamente, medizinische Betreuung.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte am Sonntag vor einem völligen Zusammenbruch des Gesundheitssystems, die Hilfsorganisation Oxfam nannte die Lage „apokalyptisch“. Auch Deutschland forderte von Israel einen besseren Schutz und mehr Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.

UNO-Vertreter: Hilfe kommt bei Menschen an

Auf die Frage, ob von der Hilfe nicht auch die islamistische Hamas profitiere, die von Israel bekämpft wird, sagte Frick: „Die UNO arbeitet im Gazastreifen seit über 60 Jahren. Wir haben sehr robuste Systeme, sodass wir wissen, dass unsere Hilfe tatsächlich an die Menschen kommt, die es am nötigsten haben.“ Israelische Medien berichten dagegen, mittlerweile würden Teile der palästinensischen Bevölkerung sich auch öffentlich beklagen, dass die Hamas Teile der Hilfslieferungen für die eigenen Leute abzweigt.

Auslöser des Gaza-Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt hatten. Mehr als 1.200 Menschen wurden bei den beispiellosen Angriffen getötet. Israel begann daraufhin mit massiven Luftangriffen und seit Ende Oktober mit einer Bodenoffensive in dem Küstengebiet. Die Zahl der getöteten Palästinenser ist nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde inzwischen auf 17.700 gestiegen.