Frau mit Kind schaut auf Plakate von israelischen Geiseln
IMAGO/UPI Photo/Debbie Hill
Blinken in Katar

Schlechte Vorzeichen für neuen Geiseldeal

Nach der Tötung des hochrangigen Anführers der radikalislamischen Hamas Saleh al-Aruri in Beirut haben sich aus Sicht des Golfemirats Katar die Vorzeichen für einen neuerlichen Geiseldeal deutlich verschlechtert. Katar spielte neben Ägypten und den USA bei bisherigen Verhandlungen eine Schlüsselrolle – und war am Sonntag auch Anlaufstelle des erneut auf Nahost-Vermittlungstour befindlichen US-Außenministers Antony Blinken.

Nach den Worten von Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani wird ein neuer Deal nun schwieriger. Das berichtete das Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf eine nicht näher genannte israelische Quelle und einen katarischen Beamten in der Nacht auf Sonntag. Die Aussagen seien während eines Treffens von Al Thani mit Angehörigen von israelischen Geiseln in Doha gefallen.

Katar und Ägypten hatten zuletzt daran gearbeitet, Gespräche zwischen Israel und der Hamas über die Freilassung weiterer Geiseln wieder in Gang zu bekommen. Die Terrororganisation hatte bei ihrem blutigen Anschlag am 7. Oktober rund 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt. 105 Geiseln kamen zwischenzeitlich im Austausch für in Israel inhaftierte Palästinenser frei. Die israelische Armee schätzt, dass im Gazastreifen derzeit noch rund 135 Menschen festgehalten werden.

Der Hamas-Anführer Aruri kam am vergangenen Dienstag bei einer Explosion in der libanesischen Hauptstadt Beirut ums Leben. Die mit der Hamas verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon vermutet Israel hinter der Aktion. Nach dem Tod bestand die Sorge einer weiteren Eskalation im Nahost-Konflikt. Verstärkt wurde diese am Sonntag mit einem großangelegten Raketenangriff auf Israel, den die Hisbollah als „erste Reaktion“ auf die Tötung von Aruri.

Weiter Sorge vor Ausweitung des Konflikts

Neben EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock ist auch US-Außenminister Blinken in der Region auf Vermittlungstour, um mit mehreren Ländern in der Region über eine Deeskalation in dem Konflikt zwischen Israel und der Hamas zu sprechen. Am Sonntag traf Blinken zunächst Jordaniens König Abdullah II.. Im Laufe des Tages reiste er dann weiter nach Katar, wo er sowohl mit Ministerpräsident Al Thani als auch dem den Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, zusammentraf.

Nach seinem Gespräch mit Ministerpräsident Al Thani warnte Blinken, „dass der Konflikt schnell metastasieren“ könnte, „was noch mehr Leid in der Region verursachen würde“. Er und seine Gesprächspartner seien sich alle einig, dass sich der Konflikt nicht weiter ausweiten dürfe.

Ministerpräsident Al Thani warnte ebenfalls vor einer „gefährlichen Ausweitung des Konflikts“. Und er verurteilte zugleich die Tötung eines Hamas-Anführers in Beirut und eines ranghohen iranischen Generals in Syrien. Die beiden – mutmaßlich durch Israel angeordneten – Tötungen seien zu verurteilen und ein Verstoß gegen die Souveränität dieser Länder, so der Ministerpräsident.

Appell an Israel für besseren Schutz von Zivilisten

Blinken forderte überdies eindringlich, dass Israel die Zivilisten in Gaza bei seinen Angriffen dort besser schützen müsse. „Es ist schmerzhaft, dass wir eine Stufe erreicht haben, in der wir uns an Bilder von Tod und Zerstörung in Gaza leider gewöhnt haben“, sagte Al Thani. Der Krieg gehe trotz Bemühungen auf internationaler und regionaler Ebene weiter. In den kommenden Tagen will Blinken noch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien sowie Israel, das Westjordanland und Ägypten besuchen.

Bereits zum vierten Mal seit Ausbruch des Gaza-Krieges bereist auch Deutschlands Außenministerin Baerbock die Region. Erste Station war am Sonntag zunächst Jerusalem – in den kommenden Tagen stehen unter anderem das palästinensischen Westjordanland, Ägypten und ein Besuch im Libanon auf dem Programm.

Auch Baerbock zeigte sich besorgt, dass die Gefahr eines regionalen Flächenbrands noch nicht gebannt sei – gerade auch wegen des aggressiven Gebarens zweier mit dem Iran verbündeter, israelfeindlicher Milizen im Libanon und im Jemen: „Die Lage in Nahost ist brandgefährlich mit Raketen aus zwei weiteren Richtungen: denen der Hisbollah und denen der Huthis.“ Diese Bedrohung mache eine diplomatische Lösung umso dringlicher.

Hoffen auf „Grundstein für Frieden“

Von Israel forderte Baerbock zudem mehr Rücksicht für die im Gazastreifen, aber auch im Westjordanland lebende Zivilbevölkerung ein. Baerbock warb erneut dafür, den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern durch eine Zweistaatenlösung beizulegen – also durch die Einrichtung eines eigenen Palästinenserstaats an der Seite Israels. „Die Region muss aus dem ewigen Zyklus der Gewalt herauskommen“, so Baerbock, die hier anfügte: „Es ist der Moment, endlich den Grundstein für nachhaltigen Frieden und Sicherheit zu legen.“

Anhaltende Angriffe

Anzeichen für eine Entspannung in dem Konfliktgebiet gab es drei Monate nach dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober nicht – im Gegenteil: Israel setzte seine Angriffe auf den Gazastreifen fort, die Hamas sprach von Angriffen auch im Süden auf die Städte Chan Junis und Rafah. Die mit der Hamas verbündete Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon griff ihrerseits am Samstag massiv den Norden Israels an.

ORF-Analyse: Aktuelle Lage im Gaza-Krieg

ORF-Korrespondent Tim Cupal meldet sich aus Tel Aviv in Israel. Er berichtet, wie nahe Israel seinem Ziel, die Hamas zu zerstören, drei Monate nach Kriegsbeginn gekommen ist.

Netanjahu verweist auf Kriegsziele

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erinnerte am Sonntag indes an die von Israel beim Militäreinsatz im Gazastreifen gesetzten Kriegsziele. Diese seien neben der Beseitigung der Hamas die Rückkehr aller Geiseln und die Sicherstellung, dass der Gazastreifen keine Gefahr mehr für Israel darstellt.

„Der Krieg darf nicht beendet werden, bevor wir unsere Ziele erreicht haben“, sagte Netanjahu dazu am Sonntag zu Beginn der wöchentlichen Sitzung seines Kabinetts. „Ich sage das sowohl unseren Feinden als auch unseren Freunden“, fügte er hinzu.

Netanjahu und sein Kriegskabinett drängen schließlich auf eine rasche Lösung für die angespannte Situation an der Nordgrenze. Sie bevorzugen eigenen Angaben zufolge eine diplomatische Einigung, drohen andernfalls aber auch mit einer militärischen Option. Eine Warnung vor einer solchen „deutlichen Eskalation“ kommt laut „Washington Post“ aus den USA. Dem Bericht zufolge ist die Sorge unter US-Regierungsbeamten groß, dass eine Eskalation zwischen den Nachbarländern am Mittelmeer noch blutiger sein könnte als der letzte Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006.