Bundespräsidentschaftskandidat Tassilo Wallentin bei der Präsentation seines Buches
ORF.at/Lukas Krummholz
Lokalaugenschein

Wallentin im Wahlkampf

Statt einer klassischen Wahlkampftour führt den Bundespräsidentschaftskandidaten Tassilo Wallentin derzeit eine Lesereise durch Österreich. Ende September macht er dafür in seiner Heimat Wien halt. Dass der 48-Jährige um Wählerstimmen wirbt, ist bei der Präsentation seines neu erschienenen Buchs aber klar: Mit Kritik am politischen Establishment spart Wallentin nicht. Vor allem aber inszeniert er sich als jenen Kandidaten, der nicht nur die Lösungen für aktuelle Krisen kennt, sondern auch die Antworten auf die Sorgen seines Publikums weiß.

Die Buchhandlung Frick am Graben in der Wiener Innenstadt, die sich nur wenige Gehminuten von Wallentins Rechtsanwaltskanzlei entfernt befindet, ist an jenem kühlen Abend gut besucht. Kaum ein Sitzplatz im zweiten Stock, wo die Lesung stattfinden wird, bleibt frei. In den engen Gängen der Buchhandlung drängen sich Interessierte, Angestellte, Kameramänner, Reporterinnen und Fotografen.

Nicht nur Leser, sondern auch Mandanten und Bekannte (darunter die befreundete Society-Lady Patricia Schalko) sind gekommen, um Wallentin zu unterstützen. Auf den Ex-„Krone“-Kolumnisten, Autor und Rechtsanwalt müssen sie nicht lange warten. Er erscheint kurz vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung – also vor 19.00 Uhr – in der Buchhandlung. Er trägt wie oft Anzug und Krawatte. Es wird still.

Bundespräsidentschaftskandidat Tassilo Wallentin bei der Präsentation seines Buches
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Für seine Vorschläge erntet Wallentin bei seiner Buchpräsentation viel Zuspruch

Buch laut Wallentin „kein Marketinggag“

Die Filialleiterin erklärt zur Begrüßung kurz, dass sich Leser und Kunden hier selbst eine Meinung bilden dürfen. Kurz darauf – pünktlich zum Läuten der Stephansdom-Glocken – setzt Wallentin zu einer Brandrede an. Neben ihm am Rednerpult ein Stapel Bücher: „Hier und jetzt – Wie wir dieses Land noch retten“ lautet der Titel. Darum soll es an dem Abend gehen.

Der Autor lässt in der knappen nächsten Stunde keinen Zweifel daran, dass er mitten im Wahlkampf zur Hofburg-Wahl am 9. Oktober steckt. „Ich glaube, wenn ich heute meinen kurzen Vortrag gehalten habe, dann werden Sie wissen, Sie können nur einen Einzigen wählen, und der steht da“, sagt er und wird von den Dutzenden Besucherinnen und Besuchern mit Gelächter belohnt. Die meisten scheinen ohnehin zu wissen, dass kein anderer Kandidat für sie infrage kommt. Vor allem Menschen mittleren Alters finden sich in der Menge. Doch auch einige Junge sind gekommen.

Sein Buch, das ursprünglich erst im November erscheinen sollte, sei kein Marketinggag, so Wallentin. Vielmehr behandle es „alle aktuellen Krisen, die unser Land derzeit erfahren muss“, sagt er und fügt hinzu: „Ich habe diese Themen seit nahezu zehn Jahren journalistisch bearbeitet und auch Lösungen dazu geboten.“ Schon jetzt legt er fest: Die Politik der letzten Jahre sei gescheitert. Er habe das Wissen, das nun gefragt sei.

„Wir führen Dritte-Welt-Diskussionen“

Und er wiederholt eine seiner zentralen Botschaften – nämlich, dass viele Menschen mit dem „Links-rechts-Schema nichts mehr anfangen“ könnten. Als Gründe nennt er die Folgen der Teuerung, Altersarmut, zu hohe Steuern und die Energiekrise. „Wir führen Dritte-Welt-Diskussionen, anstatt uns den wirklichen Herausforderungen der Zukunft zu stellen.“

Gerade in puncto Außenpolitik sei Österreich „blamiert und verzwergt“ worden, setzt Wallentin seine Erzählung fort. Die Stimmung im Raum ist bedrückend. Ein Lächeln kommt nur noch dem Gartenzwerg auf dem Bücherregal im Hintergrund über die Lippen.

Bundespräsidentschaftskandidat Tassilo Wallentin bei der Präsentation seines Buches
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Wallentin vor der „Natur“-Abteilung

Applaus für Kritik an Van der Bellen

Wallentin will derjenige sein, der Österreich wieder auf die richtige Bahn bringt. Es sei die Zeit für eine Person, die nicht Teil des etablierten Politiksystems sei und ein Gegengewicht zur Regierung darstelle. Am amtierenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen lässt der Rechtsanwalt kein gutes Haar. Bei den Anwesenden kann er mit der scharfen Kritik am „amtsmüden“ Amtsinhaber punkten.

Wahlreportagen

ORF.at nimmt von jedem Kandidaten der Bundespräsidentenwahl eine Veranstaltung im Wahlkampf in Lokalaugenschein. Bisher erschienen sind die Artikel zu
Michael Brunner
Alexander Van der Bellen
Dominik Wlazny
Tassilo Wallentin
Heinrich Staudinger
Walter Rosenkranz

Aus dem Buch liest Wallentin im Laufe des Abends nicht vor. Vielmehr geht er auf dessen zentrale Kapitel ein: „Neutralitätskrise und Friedenspolitik“, „Zuwanderung“, „Überbevölkerung, Bauwahnsinn und Umweltzerstörung“, „Inflation“, „Die Abschaffung des Bargelds“, „Zukunft und Bildung“ sowie „direkte Demokratie“.

Den Menschen müsse „reiner Wein“ eingeschenkt werden, gerade hinsichtlich des Ukraine-Krieges sei die Situation „brandgefährlich“, sagt er und warnt vor einem „großen europäischen Krieg“. Das Publikum applaudiert erneut. Ebenso Applaus und Zustimmung erhält er für seine Kritik an den Russland-Sanktionen, der EU und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Wallentin plädiert für eine neue EU-Politik und den Abschied vom „Musterschülerimage“ Österreichs.

Aktiv und kommunikativ?

Dass ihm als Bundespräsidenten in seiner Handlungsfähigkeit – und damit auch seinen zentralen Anliegen – Grenzen gesetzt sind, scheint dem Juristen bewusst zu sein, wenngleich er viele seiner Anliegen in jenem Amt nicht umsetzen könnte. Ein „aktiver Bundespräsident“ wolle er aber sein, der notfalls die Regierung entlässt und die „Kommunikationsmacht“ des Amtes ausschöpft, so Wallentin weiter. Das würde etwa bedeuten, mit Kamerateams in Grenzgebiete zu fahren, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Bundespräsidentschaftskandidat Tassilo Wallentin bei der Präsentation seines Buches
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Selfies mit dem Kandidaten sind genauso begehrt wie dessen Signatur

Volksnah und verständnisvoll gibt sich der Jurist im Anschluss an seine Brandrede in einer Fragerunde mit dem Publikum. Diskutiert wird über alles Mögliche – vom Mercosur-Abkommen bis zu Robotern auf dem Arbeitsmarkt, von der Coronavirus-Pandemie bis zur Meinungsfreiheit in China und dem ORF. Gerade die Debatte über den ORF und das von Armin Wolf geführte Interview in der ZIB2 lässt die Stimmung in der Menge und am Rednerpult nicht nur einmal hochkochen. Für viele ist der Wunsch groß, das Besprochene so weit wie möglich verbreiten zu können.

Wallentin: 148.000 Euro von Stronach erhalten

Deutlich werden bei Wallentins Auftritt einmal mehr die inhaltlichen Überschneidungen mit der FPÖ – etwa bei den Themen Asyl, EU-Kritik, direkte Demokratie und Gendern. Mit den Freiheitlichen hat sich Wallentin auch in Gesprächen über ein etwaiges Antreten befunden. Die Gespräche sind gescheitert. „Für mich war die Wahrung meiner völligen Unabhängigkeit das wesentlichste Kriterium“, sagt Wallentin dazu gegenüber ORF.at.

Bundespräsidentschaftskandidat Tassilo Wallentin bei der Präsentation seines Buches
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Wallentins Buch war der wenig überraschende Verkaufsschlager des Abends

Zweifel an seiner Unabhängigkeit lässt der Rechtsanwalt trotz der Anstoßfinanzierung von Milliardär und Ex-Politiker Frank Stronach nicht gelten. Von Stronach habe er 148.009,64 Euro erhalten (darin enthalten die Sachleistung „Inserat Krone Bunt“), sagt Wallentin zu ORF.at. Finanzielle Mittel, die Van der Bellen und FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz zur Verfügung stünden, habe er nicht. Daher habe sich auch eine Lesetour, die auf Einladung der Buchhandlung erfolgt ist, angeboten, um mit potenziellen Wählern in Kontakt zu treten.

In Umfragen liegt er weit abgeschlagen hinter Van der Bellen und Rosenkranz. „Der einzige Misserfolg wäre, es nicht versucht zu haben“, hält Wallentin fest. Sein Buch ist jedenfalls nicht nur am Leseabend in der Buchhandlung ein Verkaufsschlager: Auch in der Kategorie „Hardcover Sachbuch“ führt es die wöchentliche Bestsellerliste des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels an.