Heinrich Staudinger
ORF.at/Lukas Krummholz
Lokalaugenschein

Staudinger im Wahlkampf

Der Unternehmer Heinrich Staudinger will seinen Wahlkampf nutzen, um Aufmerksamkeit zu schaffen – für Themen, die ihm wichtig sind. Er setzt dabei vor allem auf TV-Auftritte. Einen klassischen „Straßenwahlkampf“ gibt es nicht. In Linz hat er sich dennoch mit Mikrofon auf die Straße gestellt – auf Einladung einer Gruppe, die ihren Ursprung in den Demos gegen die CoV-Maßnahmen der Regierung hat.

Es ist Samstagnachmittag, kurz nach halb fünf, und Staudinger schaut etwas verzwickt. Vor einer halben Stunde ist der Unternehmer und nunmehrige Präsidentschaftskandidat im herbstlichen Nieselregen auf eine zum Podest umfunktionierte Kiste gestiegen. Inzwischen haben die Regentropfen seine hellbraunen Waldviertler ein paar Schattierungen dunkler gefärbt.

Hinter Staudinger liegt der Eingang zu einem kleinen innerstädtischen Park. Vor ihm haben sich rund 30 Menschen im Halbkreis versammelt. Zu seiner Rechten fährt fast im Minutentakt die Straßenbahn vorbei. Schaut er nach links, sieht Staudinger die Rückwände zweier Würstelstände. Bei einem der beiden wird er später noch Wurst und Bier bestellen.

„Dankeschön für deinen Beitrag“

Doch noch ist hier am Rande der Linzer Landstraße Fragestunde. Und an der Reihe ist jetzt ein Mann, der sich als Manfred vorstellt – und gleich ein paar Fragen im Gepäck hat: Ob man Amtsinhaber Alexander Van der Bellen nicht vor Gericht befragen müsste, will er wissen. Weil der nichts gegen die Coronavirus-Lockdowns unternommen habe. Die uns – da ist sich Manfred sicher – „die chinesische Militärdiktatur über Bill Gates und die WHO“ aufgezwungen habe. Und ob es nicht überhaupt an der Zeit wäre, die multinationalen Konzerne zu „zerschlagen“.

Heinrich Staudinger
ORF.at/Lukas Krummholz
Ist Staudingers Armhaltung allein Kälte und Nässe geschuldet?

Staudinger wartet, bis Manfred fertig geredet hat. Dann sagt er erst einmal: „Dankeschön für deinen Beitrag.“ Und meint, dass er einmal gehört habe, der „Hätt-i-dari ist gestorben“. Mit dem, was der Bundespräsident hätte machen sollen oder nicht, wolle er sich nicht befassen. Dann fährt er fort (und Überleitung braucht er dafür keine): „Das, worauf es ankommt, ist, dass wir uns am Lebendigen orientieren, am Leben – und nicht dauernd am Geld.“ Hätten doch auch „die Indianer“ gesagt, „wir sind Teil der Natur“.

Für „Mutter Natur“ und gegen Impfpflicht

Wirtschaftskritik, Naturromantik und Gerechtigkeitsparolen – das kann bei Staudinger ganz ohne Grenzen ineinanderlaufen. So kennt die Öffentlichkeit den gebürtigen Oberösterreicher und Wahlwaldviertler schon seit Jahrzehnten. Es ist – noch mehr als die jetzt als solche bezeichnete rote Jeansjacke – sein Markenzeichen. „Eine Stimme für Heini ist eine Stimme für Mutter Natur, ist eine Stimme für Gerechtigkeit, ist eine Stimme für den Kampf gegen die Armut“, sagt er auch an diesem Samstag.

Doch in den vergangenen Monaten und Jahren ist noch etwas hinzugekommen. Im Laufe der Pandemie hat sich der Schuhfabrikant zunehmend kritisch zu den staatlichen Maßnahmen geäußert. Er hat sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen und gilt als entschiedener Gegner einer – am Ende ohnehin nicht umgesetzten – Impfpflicht.

Mit dem E-Auto im „Protestkonvoi“

Das hat ihn in den Reihen der Impfgegner zu einer Identifikationsfigur gemacht – birgt aber auch das Potenzial für Widersprüchlichkeiten. So spricht Staudinger vom Podest hinunter, dass „wir“ uns unabhängig von Öl und Gas machen müssen. Ein großer Teil der Menschen, die ihm dabei zuhören, ist freilich die eineinhalb Stunden vor Staudingers Auftritt mit ihren Autos als „Protestkonvoi“ quer durch Linz gefahren.

Die Demo per Pkw ist ein Überbleibsel jener Proteste, die sich zuerst gegen die CoV-Maßnahmen und dann gegen die Impfpflicht formiert haben. Inzwischen haben die Organisatorinnen und Organisatoren neue Themen gefunden. Jetzt geht es um Preissteigerungen. Und gefordert wird nicht mehr ein Aus für die Impfpflicht, sondern ein Ende der Sanktionen gegen Russland.

Heinrich Staudinger
ORF.at/Lukas Krummholz
Vor seinem Auftritt hat Staudinger noch eine Demorunde per Auto mitgedreht

Die letzten 20 Minuten vor seinem Auftritt ist auch der Gea-Chef mitgefahren: Autos, deren Motorhauben und Seitenflächen unter anderem mit durchgestrichenen Porträts des derzeitigen Bundespräsidenten beklebt sind, und dazwischen ein Elektroauto mit Gmündner Kennzeichen. Sechs Jahre können viel ändern. 2016 hatte der Schuhfabrikant den jetzigen Amtsinhaber im Wahlkampf noch aktiv unterstützt.

Frage des Verstehens

In Linz ist Staudinger jetzt von Menschen eingeladen worden, die von „aktuellen Bedrohungen“, „EU-Diktatur“ und „Zensur“ sprechen. Seinen Auftritt in der oberösterreichischen Landeshauptstadt erklärt Staudinger gegenüber ORF.at mit „guten Vibes“. Die habe er gespürt, als er vor ein paar Wochen per Telefon zu einer solchen Veranstaltung zugeschaltet war.

Heinrich Staudinger
ORF.at/Lukas Krummholz
Eine Kiste fungiert als Podest

Dabei sagt Staudinger an diesem Samstag nicht immer das, was viele im Publikum gerne von ihm hören würden. Als er gefragt wird, ob er sich für eine EU-Austritt Österreichs starkmachen würde, sagt er: „Nationale Sologänge“ seien „ziemlich unrealistisch.“ Österreich solle vielmehr als kleines Land innerhalb der EU Vorbild sein. Und nein, auch die Regierung würde er als Präsident nicht entlassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Spiel weitergeht.“ Sein Konzept würde „Dialog“ heißen.

Wahlreportagen

ORF.at nimmt von jedem Kandidaten der Bundespräsidentenwahl eine Veranstaltung im Wahlkampf in Lokalaugenschein. Bisher erschienen sind die Artikel zu
Michael Brunner
Alexander Van der Bellen
Dominik Wlazny
Tassilo Wallentin
Heinrich Staudinger
Walter Rosenkranz

Eine gewisse Diskrepanz zwischen Sender und Empfängern stellt auch ein Passant fest, nachdem er eine Zeit lang am Rande zugehört hat. „Er sagt eh gscheite Sachen. Aber ich fürchte, die verstehen ihn da alle nicht“, sagt der Mann irgendwann zu seiner Begleiterin.

Interviews als Überlebenskampf?

An Applaus und Zustimmung lässt es die Zuhörerschaft aber trotzdem nicht mangeln. Und über Strecken macht es Staudinger seinen Zuhörerinnen und Zuhörern auch wirklich leicht – etwa wenn er sich gleich zu Beginn über die Rolle der Medien im Wahlkampf beschwert. Ein bisschen „wie vor einem Erschießungskommando“ sei er sich bei den Interviews und TV-Diskussionen vorgekommen. „Nur wenn man die richtige Antwort oder eine halbwegs gute Antwort sofort parat hat, überlebt man.“

Heinrich Staudinger spricht vor Publikum
ORF.at/Lukas Krummholz
Ob des Wetters prägten Regenschirme das Bild

Bei einem Publikum, das gerne zwischen „Systemmedien“ und „freien Medien“ unterscheidet, kommt das ebenso gut, wie wenn Staudinger – ganz unkonkret – fordert: „So wie es jetzt rennt, darf es nicht weitergehen.“ Sie müsse „offenbaren“, dass für sie bei dieser Wahl nur Staudinger wählbar sei, sagt eine Frau aus dem Umfeld der Veranstalter ins Mikrofon. Denn: „Der Heini ist der einzige nicht systemische politische Kandidat, der sich zum Ziel gesetzt hat, Sand ins Getriebe zu streuen.“

Abgang durch den Park

Der einzige Kandidat, der an diesem Samstag in Linz eine Bühne bekommt, ist Staudinger allerdings nicht. Nach dem Schuhfabrikanten wird auch noch der ehemalige FPÖ- und BZÖ-Politiker Gerald Grosz telefonisch zugeschaltet.

Er könne doch auch gern eine Frage an seinen Mitbewerber stellen, wird Staudinger gebeten, als er vom Podest hinuntersteigt. Vielleicht ein bisschen später, winkt er ab – und macht sich erst einmal auf den Weg Richtung Würstelstand. Von dort geht es mit einer Flasche Bier in den Park. Und noch während die Stimme seines Mitbewerbers durch die Boxen schallt, ist Staudinger bereits verschwunden.