Eine Auswahl von Sachbüchern liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
ORF.at/Christian Öser
Empfehlungen

Die Sachbücher fürs Weihnachtspackerl

Klimakrise, Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit – die brennendsten Themen unserer Zeit schlagen sich auch in den Sachbüchern der Saison nieder. Neben gut geschriebenen Diskussionsgrundlagen kommt auch anderes Lesevergnügen nicht zu kurz, etwa zur Zauberei und zum Phänomen des Schleims.

Wie Harvey Weinstein unterging

Sachbuch oder Krimi? Ronan Farrows Enthüllungsbuch über den Weinstein-Skandal hat einiges zu bieten, was man normalerweise nur in einem Thriller liest: Missbrauch, Vertuschung, Erpressung, Privatdetektive und ein weit verzweigtes Kartell aus Geld und Macht. „Durchbruch“ erzählt die ganze Geschichte, wie der Journalist Farrow – Sohn von Woody Allen und Mia Farrow – den mächtigsten Filmproduzenten Hollywoods zu Fall gebracht hat und deckt ein Netzwerk auf, das tief in Politik und US-Medienlandschaft hineinreicht. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Ronan Farrow: Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, Henning Dedekind, Katja Held und anderen. Rowohlt, 528 Seiten, 24,70 Euro.

Facetten des Glibbrig-Glitschigen

Passend zur Erkältungssaison gibt es bibliophilen Beistand für alle Schnupfnasen und Hustengeplagten: Susanne Wedlich blättert das faszinierende Phänomen des Schleims facettenreich auf – vom popkulturellen Vergnügen am Ekel, über das Stigma durch Krankheiten bis hin zur Theorie des Urschleims als Lebensspender. Die tröstende (und nicht zuletzt schön verpackte) Grundbotschaft: Schleim ist nicht nur omnipräsent, sondern auch außerordentlich wichtig. (Paula Pfoser, für ORF.at)

Susanne Wedlich, Judith Schalansky (Hg.): Das Buch vom Schleim. Naturkunden Band 59, 287 Seiten, 34 Euro.

Das Multifunktionsidol

Erste Nackte im Kino. Schönste Frau der Welt. Antifaschistin, Erfinderin, Unternehmerin, Drogenopfer, Ladendiebin, Nymphomanin, Opfer der Schönheitschirurgie, Technikgenie: Die Rollen, die die Österreicherin Hedy Kiesler aka Hedy Mandl aka Hedy Lamarr in ihrem Leben und nach ihrem Tod spielen sollte, sind mannigfaltig – und nur zum Teil entsprechen sie der Wahrheit. Michaela Lindinger, Historikerin und Kuratorin am Wien Museum, sortiert in ihrer umfassenden Recherche belegbare Fakten und Mythen auseinander und liefert dazu (pop)kulturellen Hintergrund. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Michaela Lindinger: Hedy Lamarr. Filmgöttin – Antifaschistin – Erfinderin. Molden, 255 Seiten. 28 Euro.

Ein guter Anfang

Wie jetzt, dritte Welle des Feminismus? Wer jetzt, Chimamanda Ngozi Adichie, Simone Veil oder Serena Williams? Kompakte Biografien, Infografiken, plakative Zitate und Mini-Info-Bits sind in „We are Feminists“ eher als reizvolle Leseliste zwischen zwei Buchdeckeln zu verstehen, denn als umfassende Beschäftigung mit der Frauenbewegung auf der ganzen Welt. Mehr als angerissen ist keines der Themen, zum Weiterrecherchieren motiviert der bunte Band aber unweigerlich. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Margarete Stokowski, Rebecca Strickson, Jessica Payn: We are Feminists. Eine kurze Geschichte der Frauenrechte. Prestel, 128 Seiten, 16 Euro.

Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

Die Sterne beflügeln die Fantasie der Menschen seit Urzeiten, und sie helfen dabei, viele Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln. Weil sich nicht jeder und jede mit Quarks, Elektronen und Co. auskennt, schreibt der österreichische Astronom und „Science Buster“ Florian Freistetter in „Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen“ Klartext. Leicht verständlich und unterhaltsam erklärt er, wie schwarze Löcher entstehen, was Vampire mit Astronomie zu tun haben und warum der kosmische Staub ein besseres Image braucht. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Florian Freistetter: Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen. Hanser, 304 Seiten, 22,70 Euro.

Die Magie des Augenblicks

Die Storyline ist nicht neu, schon gar nicht im echten Leben: Ein Dorfkind entdeckt den Punk – und plötzlich ist nichts mehr wie es war. „Die Toten Hosen“ von Thees Uhlmann, Autor, Sänger und Gründungsmitglied der Hamburger Indieband Tomte, reiht sich in Coming-of-Age-Romane norddeutscher Musikerkollegen wie Sven Regener und Rocko Schamoni. Und das mit Bravour. Dabei geht es im Buch gar nicht nur um Uhlmanns Liebe zu den Toten Hosen, wie der Titel vermuten ließe, sondern auf jeder Seite auch um die Magie des Augenblicks, die vielen zusammen mit den Teenagerjahren entschwindet. (Romana Beer, für ORF.at)

Thees Uhlmann: Die Toten Hosen. KiWi, 192 Seiten, 12,40 Euro.​

Eine Auswahl von Sachbüchern liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
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Missionar des Schulsystems

„Aus autoritären Belehrungsschulen Orte zu machen, wo Kinder lernen, sich selbst und die Welt zu verstehen“, das war schon 2008 Andreas Salchers Mission. Nun liegt sein Bestseller in aktualisierter Form vor. Der Unternehmensberater und Mitgründer der Sir Karl Popper Schule hat fünf neue Kapitel geschrieben, in denen unter anderem die Digitalisierung mehr Raum bekommt. (Ja, Salcher findet, Handys gehören in den Unterricht!) Oft kochen die Thesen des Autors allzu stark im Saft der eigenen Überzeugung – mehr Quellenrecherche und Experteninterviews hätten gut getan. Und trotzdem: Ein Weihnachtsgeschenk für Eltern, Lehrer, Direktoren, das zum Denken anregt. (Maya McKechneay, für ORF.at)

Andreas Salcher: Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde. Ecowin, 275 Seiten, 24 Euro.

Klimakrise auf einen Blick

Angenommen, Sie wollen auf Palmöl verzichten, weil für dessen Gewinnung der Regenwald stirbt, und dachten, es reicht, die bekannte Nussnougatcreme zu boykottieren? Tja. Ein Blick ins „Klimabuch“ klärt diesen Irrtum auf. Eine der insgesamt 50, aufs Wesentliche reduzierten Schautafeln Esther Gonstallas zeigt: Rund die Hälfte der Waren eines Supermarktes enthalten Palmöl. Darunter finden sich die wichtigsten der 200 Inhaltsbezeichnungen, unter denen es sich tarnt. Man muss es nur erkennen – und genau deshalb ist dieses Buch so toll: Es vermittelt die Kniffe eines klimabewussten Lebensstils auch jenen, die keine Lust auf lange Texte haben. (Maya McKechneay, für ORF.at)

Esther Gonstalla: Das Klimabuch. Alles, was man wissen muss, in 50 Grafiken. Oekom, 115 Seiten. 24,70 Euro.

Das Klima fordert alle – ja, alle

Etwas grundsätzlicher geht es Jonathan Safran Foer an. Schon vor Jahren hatte er über Massentierhaltung geschrieben, jetzt widmet er sich mit demselben „No Bullshit“-Ansatz dem Klimawandel. Kann man es schaffen, nicht ignorant und destruktiv durch den Alltag zu wandeln und trotzdem kein Ökopapst zu sein? Foer bietet hier Philosophie für jedermann – zum Direkt-Anwenden. Naomi Klein spricht weniger den Konsumenten als die Entscheider an: Sie argumentiert Schritt für Schritt ihre Forderung nach einem Green New Deal der Gesellschaft. Beide Bücher ergänzen einander: Es braucht bottom up und top down – jeder muss etwas fürs Klima tun. (Simon Hadler, ORF.at)

Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima! Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr. Kiepenheuer und Witsch, 328 Seiten, 22,70 Euro.

Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Aus dem amerikanischen Englisch von Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Barbara Steckhan. Hoffmann und Campe, 351 Seiten, 24,70 Euro.

Der Blick des 19. Jahrhunderts auf die weite Welt

Zu einer Wohlfühlreise rund um den Erdball lädt „Die Entdeckung der Welt – Frühe Reisefotografie von 1850 bis 1914“. So besucht man etwa die Baustelle des Kölner Doms, die Pyramiden vor der Ausdehnung Kairos, und macht auch am Amazonas halt. Zum Staunen auch, unter welchem Aufwand die Fotografien in einer Zeit, als Reisen trotz Eisenbahn und Dampfschiff noch beschwerlich war und die Kameras noch nicht in die Hosentasche passten, entstanden sind. Und es zeigt auch den Blick des Westens Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts auf andere Kulturen. (Peter Bauer, ORF.at)

Olivier Loiseaux, Gilles Fumey: Die Entdeckung der Welt – Frühe Reisefotografie von 1850 bis 1914. Aus dem Französischen von Gabi Krause. Prestel, 240 Seiten, 46,30 Euro.

Quo vadis, Internet?

„Profil“-Kolumnistin Ingrid Brodnig befasst sich in ihrem vierten, hochspannenden Sachbuch mit dem Thema Überwachungskapitalismus. „Übermacht im Netz“ kann vieles: Es sensibilisiert auf den Umgang mit persönlichen Daten und formuliert eine Handvoll schlüssiger, politischer Desiderate für unsere „Zeitenwende im Prozess der Digitalisierung“. Nebenbei liefert Brodnig aber auch Stoff für Partytalks: So hinterleuchtet sie das Gerücht, Facebook belausche Gespräche über das Handymikrofon, um passende Anzeigen zu schalten. Oder die Vermutung, dass Google mit dem Anti-Bot-Programm künstliche Intelligenzen für die Texterkennung trainiert. Echt, Google macht das? Die Antwort steht in Kapitel fünf. (Maya McKechneay, für ORF.at)

Ingrid Brodnig: Übermacht im Netz. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen. Brandstätter, 207 Seiten, 20 Euro.

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Bekenntnisse einer schlechten Feministin

Darf eine Feministin über sexistische Witze lachen? Was tun, wenn ihr Rap-Songs mit frauenverachtenden Texten gefallen? Roxane Gay hat für solche Fälle den Terminus „Bad Feminist“ eingeführt. Er kann allenfalls als Schutzbehauptung durchgehen, denn Gay spielt souverän auf der Klaviatur der heißesten Themen wie Gender, Race, Gewalt und Sex. Dabei vermeidet sie alles Dogmatische und gibt viel Persönliches preis. Schwarze und queere Perspektiven finden hier ebenso Platz wie profunde Medienanalysen und Einblicke in die Untiefen von Scrabble-Turnieren. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Roxane Gay: Bad Feminist. Aus dem Englischen von Anne Spielmann. Btb, 416 Seiten, 10,30 Euro.

Wer steckt hinter Geistererscheinungen?

Hinter Illusionen, Geistererscheinungen und magische Tricks blickt Matthew L. Tompkins in seinem Buch „Die Kunst der Illusion – Magier, Spiritisten und wie wir uns täuschen lassen“. Er zeigt auch, wie die Tricks funktionieren und welche psychologischen Fertigkeiten die Geisterbeschwörer, Magier und Wunderheiler für ihre Berufsausbildung mitbrachten. Sehr anschaulich erklärt Tompkins in dem reichlich mit historischen Fotos ausgestatteten Band auch die sozialen und historischen Hintergründe von Seancen und Co. (Peter Bauer, ORF.at)

Matthew L. Tompkins: Die Kunst der Illusion. Magier, Spiritisten und wie wir uns täuschen lassen. Aus dem Englischen von Petra Frese. DuMont, 224 Seiten, 35 Euro.

Von der Muse zur Galeristin

Ihre Mutter war die Wirtin der Kaiserbar, einem Treffpunkt von Wiens Künstlerschickeria der 1920er Jahre. Von Schiele und Klimt wurde sie gemalt. Später eröffnete sie selbst eine Galerie in New York und unterstützte österreichische Künstler wie Max Oppenheimer bei der Flucht vor den Nationalsozialisten in die USA: Friederike Beer-Monti. In der Biographie „Ich will unsterblich werden. Friederike Beer-Monti und ihre Maler“ erzählt Margret Greiner das ereignisreiche Leben einer unabhängigen Frau – von der Muse der Wiener Moderne zur Förderin avantgardistischer Kunst. (Romana Beer, für ORF.at)

Margret Greiner: Ich will unsterblich werden. Friederike Beer-Monti und ihre Maler. Kremayr & Scheriau, 304 Seiten, 24 Euro.​

Eine Reise ins Herz der Science-Fiction

Der deutsche Theoritiker und Science-Fiction-Autor Dietmar Dath widmet sich in „Niegeschichte – Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine“ seinem bevorzugten Genre. In dem Fast-1.000-Seiten-Wälzer versucht Dath die etwas andere Geschichte der Scifi zu schreiben und der utopischen Literatur mit seinen theoretisch untermauerten Ausführungen einen größeren Platz in der Literaturgeschichte und damit Anerkennung zu geben. Ein nicht nur wegen der Seitenanzahl riesiges Werk, das Neuland betritt. (Peter Bauer, ORF.at)

Dietmar Dath: Niegeschichte – Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine. Matthes & Seitz, 942 Seiten, 39,10 Euro.

Pflichtlektüre über den „neuen“ Judenhass

Die Öffentlichkeit ist teils überrascht worden, welche Wucht und oft tödliche Gewalt Antisemitismus im 21. Jahrhundert entwickelt. In drei Fallbeispielen – Österreich, Frankreich und Großbritannien – werden der quasi klassische Antisemitismus und der „muslimische“ Antisemitismus detailreich analysiert. Nicht nur die Querverbindungen werden beleuchtet, sondern auch, wie Nationalsozialismus und Kolonialismus unterschiedlich prägend wirken. Eine Pflichtlektüre für alle, die die aktuelle Entwicklung eines Phänomens, das die Geschichte der Nationalstaaten so entscheidend prägte und weiter prägt, verstehen wollen. (Guido Tiefenthaler, ORF.at)

Helga Embacher, Bernadette Edtmaier, Alexandra Preitschopf: Antisemitismus in Europa. Fallbeispiele eines globalen Phänomens im 21. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, 338 Seiten, 36 Euro.

Eine Auswahl von Sachbüchern liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
ORF.at/Christian Öser