Szene aus dem „Ibiza-Videos“
APA/SPIEGEL/SÜDDEUTSCHE ZEITUNG/Harald Schneider
Ein Jahr „Ibiza-Affäre“

Die Konsequenzen eines Videos

Die Veröffentlichung eines schon zwei Jahre zuvor heimlich aufgenommenen Gesprächs in einer Villa auf Ibiza am Abend des 17. Mai 2019 hat die österreichische Innenpolitik erschüttert. Innerhalb von rund 24 Stunden war die ÖVP-FPÖ-Koalition Geschichte. Die Aufarbeitung der Affäre und ihrer Folgen läuft bis heute.

Ein warmer Sommerabend in einer Villa auf Ibiza im Juli 2017 wurde dem früheren FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie seinem ehemaligen Klubobmann Johann Gudenus zum Verhängnis. Das von reichlich Alkohol begleitete Gespräch der beiden mit einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte wurde heimlich aufgezeichnet. Es ging um Geldspenden an Parteien unter Umgehung des Rechnungshofs, politischen Einfluss in der „Kronen Zeitung“ und Staatsaufträge gegen finanzielle Spenden.

Veröffentlicht wurden die Ausschnitte aus dem bereits 2017 heimlich aufgenommenen Video am Freitag, den 17. Mai 2019, um 18.00 Uhr von den deutschen Medien „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) und „Spiegel“. Beide Medien betonten, nicht für das Video bezahlt zu haben.

„Novomatic zahlt alle“

In einer Videosequenz zählen Strache und Gudenus die Namen potenzieller vermögender Spender auf – darunter die Milliardärin Heidi Goess-Horten, Novomatic, Rene Benko und der Waffenproduzent Gaston Glock. Alle Genannten dementierten Spenden an die FPÖ.

Gudenus: Bin nicht erpresst worden

Er habe Ende April 2019 erfahren, dass ein Video existiert, sagte Gudenus kürzlich in einem Oe24-Interview. „Ich habe nicht gewusst, was und wann etwas kommt.“ Er sei jedenfalls nicht erpresst worden. Bereits am Mittwoch, zwei Tage vor Veröffentlichung des Videos, habe es Medienanfragen etwa von „SZ“ und „Spiegel“ an ihn, Strache und andere gegeben, präzisierte Gudenus. Das wird auch aus Straches Umfeld bestätigt.

„Kurz nach der Veröffentlichung des Videos sind wir zusammengesessen mit diversen Beratern und haben überlegt, was wir weiter tun“, erzählt eine Strache nahestehende Person gegenüber ORF.at. Gudenus habe sehr schnell den Rücktritt angeboten, Strache etwas später. Die ÖVP sei am Freitag noch nicht informiert worden. Nur der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) habe vor Veröffentlichung von der Existenz eines Videos erfahren.

Strache: „Neuwahl aus politischem Kalkül“

Rückblickend sieht der Strache-Vertraute dessen Rücktritt zumindest als FPÖ-Parteichef als „Fehler“: „Als Parteichef hätte er bleiben sollen. Dann wäre auch die Spesengeschichte nicht aufgekommen.“ Er habe „im Sinne der staatspolitischen Verantwortung“ mit seinem Rücktritt die Regierung retten wollen, sagt auch Strache heute im Rückblick auf die Ereignisse vor einem Jahr.

Strache-Rücktritt nach Veröffentlichung des Videos

Am Tag nach der Veröffentlichung von Teilen des „Ibiza-Videos“ trat Strache als FPÖ-Parteichef und Vizekanzler zurück.

Den Rücktritt als FPÖ-Parteichef bedauert er inzwischen. Man solle zudem „bitte nicht vergessen, dass es nach meinem Rücktritt als Vizekanzler keinen Grund mehr für Neuwahlen gegeben hat, die ÖVP aber aus politischem Kalkül heraus diese provoziert hat“.

Kurz „bedauerte“ Aus der Koalition

Es sei mit der ÖVP ausgemacht gewesen, dass Strache mit seinem Rücktritt den Weg für eine Fortsetzung der ÖVP-FPÖ-Regierung frei mache, so auch der Strache-Vertraute. Am Tag nach der Veröffentlichung ist Strache bei einer für 12.00 Uhr angesetzten Pressekonferenz zurückgetreten. Eine Stunde später hätte sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an die Öffentlichkeit wenden sollen. Doch er äußerte sich erst am Abend zu den Ereignissen.

Den ganzen Nachmittag wurde verhandelt, erinnert sich der Strache-Vertraute. Zunächst habe die ÖVP gefordert, dass Innenminister Kickl zurücktrete, dann habe sie das Innenministerium für die ÖVP gefordert: „Vermutlich war der Druck aus den Bundesländern zu groß. Kurz und sein Umfeld haben es ehrlich gemeint und bedauert, dass die Koalition nicht mehr weitergeht.“

Kurz beendete ÖVP-FPÖ-Koalition

Stunden nach Straches Rücktritt verkündete Kanzler Kurz das Aus der ÖVP-FPÖ-Koalition mit den Worten: „Genug ist genug.“

Am Samstagabend, rund 24 Stunden nach der Veröffentlichung des Videos, verkündete Kurz jedenfalls das Aus der ÖVP-FPÖ-Koalition nach einem Jahr und fünf Monaten gemeinsamen Regierens mit den Worten: „Genug ist genug.“ Die FPÖ schade dem Reformprojekt. Er habe zudem in den Gesprächen mit der FPÖ nicht das Gefühl gehabt, dass es abseits der Rücktritte eine wirkliche Bereitschaft für eine tiefgreifende Veränderung auf allen Ebenen der Partei gebe.

„Zack, zack, zack“

Sieben Minuten wurden aus den mehrstündigen Aufzeichnungen veröffentlicht. In diesen Ausschnitten sah Strache den Wählerzuspruch für die FPÖ steigen, wenn etwa über einen Einstieg der vermeintlichen Oligarchennichte in die „Kronen Zeitung“ die Berichterstattung mehr zugunsten der FPÖ ausfallen würde. Sobald sie die Zeitung übernehme, müsse man ganz offen reden, so Strache im Video: „Zack, zack, zack. Drei, vier Leute, die müssen gepusht werden. Drei, vier Leute, die müssen abserviert werden.“

„Zack, zack, zack“ mehr Einfluss bei der „Kronen Zeitung“

Strache erhoffte sich mit einem Einstieg der vermeintlichen Oligarchennichte bei der „Kronen Zeitung“ dort mehr Einfluss. Dann müsse man „zack, zack, zack“ reden, welche Leute „gepusht“ und welche „abserviert“ werden

Im Gegenzug versprach Strache seiner Gesprächspartnerin Staatsaufträge, die bisher an Hans Peter Haselsteiners STRABAG gegangen seien. Auch von mehreren vermögenden Spendern, darunter die Milliardärin Heidi Goess-Horten, der Immobilientycoon Rene Benko und Novomatic, die am Rechnungshof vorbei über einen gemeinnützigen Verein der FPÖ finanzielle Zuwendungen gegeben hätten, war die Rede. Alle genannten Spender dementierten Zahlungen an die FPÖ.

Video „überbewertet“

Er sei weniger über das Video schockiert gewesen als über die „Methodik des politischen Gegners“, so der Strache-Vertraute. Er glaube nicht an einen rein kriminellen Hintergrund des Videos. „Wir haben das Video überbewertet. Außer dass blöd geredet wurde, ist nichts passiert.“ Es bleibe nichts Strafrechtliches übrig. Ähnliche Gespräche könne es in anderen Politikerrunden, wenn zu nächtlicher Stunde getrunken werde, auch geben. Gudenus meinte rückblickend: „Wir haben Dinge gesagt, die andere seit Jahrzehnten machen.“

Strache hatte bereits in seiner Rücktrittserklärung von einer „b’soffenen G’schicht“ gesprochen. Seine Äußerungen seien nüchtern betrachtet „katastrophal und peinlich“ gewesen. Fehler sieht er bis heute nicht: „Mit Sicherheit war ich zu unvorsichtig. Und ich ärgere mich maßlos über mich selbst, damals in diese Falle gegangen zu sein. Aber ich habe ein reines Gewissen“, sagte er kürzlich gegenüber Oe24.

„Strache verdreht die Fakten“

Gudenus, der sich inzwischen ein wirtschaftliches Standbein als Unternehmer aufbaut, sieht in dem Buch „Die Ibiza-Affäre“, in dem die beiden „SZ“-Journalisten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer weitere Details aus dem gesamten Video analysieren, „vieles relativiert“. Es seien viele Fehler passiert, aber er habe gleich alle politischen Konsequenzen gezogen. Gudenus: „Es war unbestritten eine b’soffene G’schicht und Angeberei.“

Obermaier und Filzmaier zur „Ibiza-Video“-Affäre

Frederik Obermaier („SZ“), der sieben Minuten aus dem ihm – und dem „Spiegel“ aus nicht genannter Quelle – zugespielten „Ibiza-Video“ veröffentlicht hat, könne aufgrund der deutschen Rechtslage nicht das gesamte Video publizieren. Politologe Peter Filzmaier kommentiert, was von dem kommenden Untersuchungsausschuss erwartet werden kann.

Obermaier kann mit dieser Darstellung wenig anfangen. Auch die Argumentation Straches, dass das gesamte Video seine Unschuld beweise, kann der „SZ“-Journalist nicht nachvollziehen: „Strache verdreht die Fakten, wenn er behauptet, immer alles zurückgewiesen zu haben.“ Er habe von sich aus unaufgefordert Vorschläge gemacht, etwa welche illegalen Spendenwege am Rechnungshof vorbei möglich seien.

Es seien nur die sieben Minuten aus dem Video veröffentlicht worden, die von überragendem öffentlichen Interesse gewesen seien. Die Veröffentlichung des gesamten Materials hätte deutschem Strafrecht widersprochen, erklärte Obermaier.

35 Ermittlungsverfahren laufen

Allein die Aussagen aus den zur Verfügung stehenden sieben Minuten haben etwa die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf den Plan gerufen. Eine eigene Sonderkommission beim Bundeskriminalamt wurde einberufen. Bis heute ist die Aufarbeitung der „Ibiza-Affäre“ nicht abgeschlossen. 35 Ermittlungsverfahren laufen laut ZIB2 noch. Ob es zu Anklagen kommt, ist ungewiss. Auch die Entstehungsgeschichte und Hintermänner des Videos sind offiziell noch ungeklärt.

Während es für das Versprechen von Staatsaufträgen gegen hohe Spenden kein Ermittlungsverfahren gibt, weil Strache und Gudenus 2017 noch nicht in Regierungsfunktionen waren, laufen die Ermittlungen etwa zu gemeinnützigen FPÖ-nahen Vereinen und zu Verbindungen zu Novomatic und Casinos Austria auf Hochtouren. Bei der Causa Casinos führt die WKStA inzwischen neben Strache auch Ex-Novomatic-Chef Harald Neumann sowie den ehemaligen ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger als Beschuldigte. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.

„Thema schon etwas abgelutscht“

In der Bevölkerung ist die „Ibiza-Affäre“ inzwischen schon etwas in den Hintergrund getreten, glaubt man einer aktuellen Umfrage von Research Affairs. 42 Prozent der Befragten bewerten die Ereignisse inzwischen als „harmlosen Vorfall“, der nur eine Frage der Zeit gewesen sei.

Politisch startet nun Anfang Juni die Aufarbeitung mit dem „Ibiza“-U-Ausschuss mit Vorladungen von Strache, Gudenus, Goess-Horten, Novomatic-Gründer Johann Graf und dem Waffenproduzenten Gaston Glock. Dabei soll auch etwaiger Postenschacher während der ÖVP-FPÖ-Koalition untersucht werden.

Gudenus erwartet sich jedenfalls nicht viel vom Ausschuss: „Das Thema ist in meinen Augen schon etwas abgelutscht.“ Es könne aber durchaus sein, dass „die eine oder andere Überraschung über andere Parteien“, ans Tageslicht komme.