Filmstill aus „KAVIAR“
Dominik Spritzendorfer

Ruhiges Fest als Pulsmesser der Gegenwart

Ruhig und doch politisch: Die am Sonntag endende 22. Diagonale hat in den vergangenen Tagen einmal mehr den österreichischen Film in all seinem Facettenreichtum in die Auslage gestellt. Von „Reizthemen“ zeigte man sich im Vorfeld „unbeeindruckt“ – und doch blieb das Festival in Graz von der Eröffnung bis zum Finale stets am Puls der Zeit.

Mit wohltuender Unaufgeregtheit besetzte die heimische Filmlandschaft das Programm in Graz – und zeigte, warum österreichischer Film auch auf internationalen Festivals zu den Fixstartern zählt. ORF.at blickt noch einmal auf die großen und kleinen Momente der Leistungssschau zurück.

An Auseinandersetzung mit aktuellen Themen mangelte es dem Festival jedenfalls nicht, wie auch das Ergebnis der Preisverleihung am Samstag im Grazer Orpheum zeigte. In den beiden Hauptkategorien wurden mit „Chaos“ und „The Remains“ zwei Filme prämiert, die sich dem Thema Flucht auf gänzlich unterschiedliche Weise annähern – mehr dazu in Diagonale-Preis für „Chaos“.

„Erde“

Nicht der Glaube versetzt Berge, es sind Bagger, Bohrer, Baumaschinen: In „Erde“ schaut Dokumentarist Nikolaus Geyrhalter genau hin, wie wir die Welt um uns verändern. Im Gespräch mit ORF.at sieht Geyrhalter zwar kein Ende der Erde – wohl aber die Zerstörung der „eigenen Lebensgrundlage“ – mehr dazu in Die Menschheit, eine geologische Gewalt.

Filmstill aus „Erde“
NGF
Nikolaus Geyrhalters „Erde“ zeigt den Menschen als geologische Gewalt

„Bewegungen eines nahen Bergs“

Sebastian Brameshuber entführt die Zuseher in eine Welt, über die man schon immer mehr wissen wollte: das Reich der Afrikaner, die kleine laminierte Zetterl an Autos stecken. Seine Doku mit gescripteten Elementen, die gar kein „echter“ Spielfilm sein will, auch wenn sie bei der Diagonale als solcher firmiert, ist sehenswert, nicht nur, aber auch, weil sie die Neugier befriedigt – mehr dazu in Wer die Zettelchen in Autotüren steckt.

„Der Boden unter den Füßen“

Mit „Der Boden unter den Füßen“ eröffnete ein intensives Psychodrama die diesjährige Diagonale. Marie Kreutzer lässt darin zwei unterschiedliche Schwestern an ihre Grenzen gehen und den Wahnsinn familiärer Strukturen durchleben. Ein Film über Selbstoptimierung und Kontrollverlust – mehr dazu in Zwischen Burn-out und Paranoia.

Szene aus „Der Boden unter den Füßen“
Novotny Film/Juhani Zebra
Mavie Hörbiger und Valerie Pachner im diesjährigen Eröffnungsfilm

„Eine Eiserne Kassette“

Nils Olger wusste, dass sein Großvater im Zweiten Weltkrieg als Arzt bei der SS gewesen war. Was er nicht wusste: Sein Opa war Teil einer SS-Panzerdivision, die an Kriegsverbrechen beteiligt war. Der Dokumentarfilm „Eine Eiserne Kassette“ ist Zeugnis einer präzisen Spurensuche – mehr dazu in Die SS-Fotos des Großvaters.

„Die Kinder der Toten“

„Die Kinder der Toten“ wird gerne als Elfriede Jelineks Opus Magnum bezeichnet: Eine Abrechnung mit Österreichs Geschichte und der fehlenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus, verpackt in einen grausigen Horrorroman. Kein leichter Stoff für einen Film – schon gar nicht für den gleichnamigen Stummfilm, der nun im Rahmen der Diagonale seine Österreichpremiere feierte – mehr dazu in Jelineks Zombie-Opus als Stummfilmorgie.

Filmstill aus „Die Kinder der Toten“
Ulrich Seidl Filmproduktion
Ohne Worte kommt „Die Kinder der Toten“ aus

„Szenen meiner Ehe“

Die Produzentin und Uniprofessorin Katrin Schlösser hat bei der Diagonale ihren ersten Film als Regisseurin produziert – und der war gleich eine Mutprobe. Immerhin ist die Doku ein Porträt ihrer Ehe, ein sehr intimes noch dazu. Was ist das Geheimnis der Liebe? Und welche Rolle spielt die Moral – mehr dazu in Ehe, Liebe – und die Moral.

„Das dunkle Paradies“

Stefanie Reinsperger und Manuel Rubey klären in „Das dunkle Paradies“ ihren zweiten Fall in der Region Salzburg. Regie führte wieder Catalina Molina, die diesmal die ländliche Idylle von Zell am See durch einen brutalen Mord an einer Prostituierten erschüttern lässt. Im Rahmen der Diagonale feiert der „Landkrimi“ seine Österreich-Premiere – mehr dazu in Sex, Drogen und Politik im „Landkrimi“.

Martin Merana (Manuel Rubey), Franziska Heilmayr (Stefanie Reinsperger)
ORF/Epo Film
Stefanie Reinsperger im diesjährigen „Landkrimi“

„Refugee Lullaby“

Ein Mann singt einem muslimischen Kind, das mit seinen Eltern auf der Flucht vor dem Krieg in den Westen unterwegs ist, ein jiddisches Schlaflied vor. Das Video davon verbreitete sich viral im Netz. Die israelische Filmemacherin Ronit Kerstner wollte wissen, wer dieser Mann ist – und hat über Hans Breuer die Doku „Refugee Lullaby“ gedreht, die in vielerlei Hinsicht sehenswert ist – mehr dazu in Ein Hirte mit Widerstandsgeist.

Breit gefächertes Programm

Das Spektrum der Diagonale reichte von Komödien wie „Kaviar“ (siehe Titelbild) bis hin zu einer experimentellen Kurzfilm-Schiene. Vor allem aber bei den Dokumentationen war es ob der großen Auswahl nicht leicht, den Überblick zu behalten – mehr dazu in Einblicke in fremde Welten.

Projizierte Weiblichkeit(en) bei der Diagonale

Wiener Mädel, Ahnfrauen, Models, Scream Queens und Künstlerinnen: Das historische Special der diesjährigen Diagonale könnte kaum breiter aufgestellt sein. Ausgehend von einem Essay, den die Filmjournalistin Alexandra Zawia und die Autorin Michelle Koch zum aktuellen Stand der Debatte über Frauen im Film verfasst haben, wurden ganz unterschiedliche Persönlichkeiten aus und abseits der Filmbranche um ihre Filmvorschläge gebeten – mehr dazu in Die Suche nach Weiblichkeit(en).