Ausland

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat sein Nein zu einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine bekräftigt. „Die Ukraine ist eines der korruptesten Länder der Welt“, sagte er in einem heute veröffentlichten Interview mit der französischen Wochenzeitschrift „Le Point“.

„Wenn deren Landwirtschaft Teil der EU-Landwirtschaft wird, dann zerstört sie diese“, so Orban über das Nachbarland Ungarns. Außerdem seien zwei Drittel der ungarischen Bevölkerung gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.

Für Orban maximal „strategische Partnerschaft“

Denkbar sei allenfalls eine „strategische Partnerschaft“ zwischen der EU und der Ukraine, bekräftigte Orban. „Wenn wir es schaffen, dass die Ukraine sich der EU annähert, dann sehen wir in einigen Jahren weiter.“

Orban war gestern Abend von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris empfangen worden. Dabei hatten beide auch über die Unterstützung der Ukraine sprechen wollen, hatte der Elysee-Palast vor dem Gespräch mitgeteilt. Über den tatsächlichen Inhalt des Gesprächs wurde anschließend nichts bekannt.

Poker mit EU-Gipfel

Zu Beginn dieser Woche hatte Orban mit einem „Scheitern“ des Mitte Dezember anstehenden EU-Gipfels gedroht, wenn EU-Ratspräsident Charles Michel nicht die beiden Hauptbeschlüsse zur Unterstützung der Ukraine von der Tagesordnung des Gipfels streiche. Macron lud Orban daraufhin zu einem Arbeitsessen ein, um eine Lösung zu finden.

Diplomaten vermuten, dass Orban mit seiner Blockadedrohung die Freigabe von 13 Milliarden Euro an EU-Mitteln für sein Land erreichen will. Die EU hatte die Gelder wegen Rechtsstaatsproblemen in Ungarn eingefroren. Europaparlamentarier warfen Orban „Erpressung“ vor.

„Ich bin der Einzige, der eine Mauer gebaut hat“

Orban rühmte sich in dem Interview außerdem einmal mehr, in seinem Land das Migrationsproblem gelöst zu haben. „Ich bin der Einzige, der eine Mauer gebaut hat“, sagte er. „In Ungarn gibt es keine Migranten, und darauf bin ich stolz.“

Die EU solle sich an seinem Land ein Beispiel nehmen und nur noch Menschen einreisen lassen, die eine Erlaubnis dafür erhalten haben. „Wenn Sie meinen, dass die Aufnahme von Migranten zu etwas Angenehmen, zu einer neuen Gesellschaft führt (…), dann tun sie es doch“, sagte er mit Blick auf die übrigen EU-Staaten. „Wir in Ungarn denken, das ist zu riskant.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Ratifizierung des NATO-Beitritts Schwedens durch sein Land von einer Bewilligung von F-16-Kampfjets aus den USA abhängig gemacht. Die USA sagten, dass sie „in der F-16-Frage erst dann etwas unternehmen werden, wenn der Kongress sie genehmigt hat, aber ich habe auch ein Parlament“, sagte Erdogan heute. Wenn Washington „gleichzeitig und solidarisch“ seinen Beitrag leiste, werde das Parlament in Ankara das Gleiche tun.

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte das traditionell blockfreie Schweden gemeinsam mit dem Nachbarn Finnland die NATO-Mitgliedschaft im Mai des vergangenen Jahres beantragt. Finnland trat dem Militärbündnis im April bei, Schweden wartet noch auf die Zustimmung der Mitgliedsländer Türkei und Ungarn.

Schweden-Beitritt seit Monaten verschleppt

Ankara verschleppt den NATO-Beitritt Schwedens seit Monaten. Erdogan hatte auf dem NATO-Gipfel im Juli sein Wort gegeben, dass Schweden beitreten könne, das türkische Parlament hat den Antrag allerdings weiterhin nicht ratifiziert.

Der NATO-Partner Türkei benötigt die von Erdogan geforderten F-16-Kampfjets zur Modernisierung der Luftwaffe. Die US-Regierung hat sich gegenüber einem Verkauf im Wert von 20 Milliarden Dollar zwar offen gezeigt. Mehrere Abgeordnete des US-Kongresses äußerten sich jedoch besorgt wegen der Menschenrechtslage in der Türkei und Spannungen mit dem NATO-Partner Griechenland.

Russlands Präsident Wladimir Putin kandidiert für eine weitere sechsjährige Amtszeit. Er habe seine Entscheidung heute im Kreml nach der Auszeichnung von Soldaten bekanntgegeben, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TASS.

Die Wahl findet von 15. bis 17. März statt, wie die Wahlkommission gestern mitgeteilt hatte. Es ist das erste Mal, dass in dem flächenmäßig größten Staat der Welt der Präsident über drei Tage gewählt wird.

Weit und breit kein ernsthafter Gegner

Der 71-Jährige hat keinen ernsthaften Rivalen. Russlands bekanntester Oppositionspolitiker Alexej Nawalny verbüßt insgesamt mehr als 30 Jahre Haft in einer Strafkolonie.

Putin war zu Silvester 1999 vom damaligen Präsidenten Boris Jelzin zu seinem Nachfolger ernannt worden. Seither bestimmte er die Geschicke Russlands als Präsident oder – nach einer Rochade mit Dmitri Medwedew – zeitweise als Ministerpräsident. Wenn Putin eine weitere sechsjährige Amtszeit im Kreml beendet, wird er länger regiert haben als Diktator Josef Stalin, der die Sowjetunion von 1924 bis 1953 führte.

Zwei Monate nach dem Überfall der Hamas auf Israel ist der Krieg in Gaza weiter voll im Gange und ein Ende nicht absehbar. Was dafür derzeit noch völlig fehlt: ein Plan, wie es in dem schmalen Küstenstreifen danach weitergehen soll. Israel legt sich hier aus mehreren Gründen bisher nicht fest. Das belastet aber zugleich die in der Frage entscheidende Achse mit Ägypten. Dabei gibt es in der Frage viele gemeinsame Interessen.

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Bericht: Palästinensischer Premier will Hamas als „Juniorpartner“

Der Premierminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mohammed Schtajjeh, will einem Medienbericht zufolge die für das Massaker an 1.200 Israelis verantwortliche Terrororganisation Hamas als „Juniorpartner“ in seine Regierung aufnehmen. Das sei Teil eines Nachkriegsplans für den Gazastreifen, an dem die Palästinenserbehörde gemeinsam mit US-Vertretern arbeite, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Demnach wäre es das „bevorzugte Ergebnis“ des Konflikts, wenn die Hamas ein Juniorpartner der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) beim Aufbau eines neuen Staates würde, der das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem umfassen würde, so Schtajjeh.

„Wenn sie bereit sind zu einem Abkommen und das politische Programm der PLO akzeptieren, dann gibt es Raum für Gespräche. Die Palästinenser sollten nicht entzweit werden“, sagte er. Das israelische Ziel, die Hamas vollständig zu besiegen, sei „unrealistisch“.

Netanjahu gegen Hamas-Regierungsbeteiligung

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schloss eine Beteiligung der Hamas an einer künftigen Regierung im Gazastreifen dagegen vehement aus. „Es wird keine Hamas geben – wir werden sie beseitigen“, so der Premier.

„Allein die Tatsache, dass das der Vorschlag der Palästinensischen Autonomiebehörde ist, stärkt nur meine Politik: Die Palästinensische Autonomiebehörde ist nicht die Lösung“, schrieb Netanjahu auf X (Twitter).

Nachdem es in Russland erneut zu einem Problem an einem Passagierflugzeug gekommen ist, haben die Behörden offizielle Ermittlungen eingeleitet.

Eine Boeing 737-800 habe heute notlanden müssen, hieß es von offizieller Seite. Das Flugzeug der Gesellschaft S7 sei auf dem Weg vom sibirischen Nowosibirsk nach Moskau gewesen, als es zu einem Triebwerkschaden gekommen sei.

Das Flugzeug habe umdrehen müssen, hieß es. „Die Landung war sicher. Es gab keine Opfer.“ Der Vorfall ereignete sich nur einen Tag nachdem ein Frachtflugzeug wegen eines Feuers in einem Triebwerk in Sibirien notlanden musste.

Probleme mit Wartung wegen Sanktionen

In Russland hat nach mehreren Vorfällen die Sorge um die Sicherheit im Luftverkehr zuletzt zugenommen. Die Mehrzahl der in dem äußerst weitflächigen Land eingesetzten Flugzeuge stammt von Airbus oder Boeing. Seit Inkrafttreten der gegen Moskau wegen des Angriffskriegs in der Ukraine vom Westen verhängten Sanktionen ist der Import und die Wartung von Flugzeugteilen für die russischen Gesellschaften schwierig.

Laut einem Medienbericht musste etwa die von der Notlandung am Freitag betroffene Gesellschaft S7 ihr Angebot im Herbst- und Winterflugplan um zehn bis 15 Prozent zusammenstreichen. Grund dafür seien Schwierigkeiten bei der Wartung ihrer Airbus-Maschinen.

Lars Klingbeil und Saskia Esken bleiben die Doppelspitze der deutschen Kanzlerpartei SPD. Auf dem Bundesparteitag wurden die beiden für weitere zwei Jahre als Vorsitzende gewählt.

Saskia Esken und Lars Klingbeil
Reuters/Liesa Johannssen

Klingbeil erhielt 85,6 Prozent der Stimmen und damit nur etwas weniger als 2021 mit 86,3 Prozent. Esken kam mit 82,6 Prozent auf ein deutlich besseres Ergebnis als vor zwei Jahren mit 76,7 Prozent. Die Partei befindet sich derzeit wegen der Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit im Umfragetief.

Die 62-jährige Esken ist bereits seit vier Jahren SPD-Vorsitzende. Sie hatte sich 2019 zusammen mit Norbert Walter-Borjans in einer Stichwahl der SPD-Mitglieder gegen den heutigen deutschen Kanzler Olaf Scholz und seine jetzige Bauministerin Klara Geywitz durchgesetzt.

Deutlicher Dämpfer in Umfragen

Nach der deutschen Bundestagswahl 2021, bei der die SPD erstmals seit fast 20 Jahren wieder stärkste Partei wurde, rückte der heute 45-jährige Lars Klingbeil für Walter-Borjans in die Doppelspitze auf. Bis zu diesem Zeitpunkt war er Generalsekretär und managte den Wahlkampf, aus dem Scholz schließlich als Kanzler hervorging.

Die SPD kommt in den jüngsten Umfragen zur deutschen Bundestagswahl nur noch auf 14 bis 17 Prozent der Wählerstimmen – im Vergleich zu 25,7 Prozent bei der Wahl 2021. Die drei „Ampel“-Parteien zusammen (SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen) sackten von 52 Prozent 2021 auf heute 33 bis 38 Prozent in deutschlandweiten Umfragen ab.

Inland

Der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ/ÖVP) ist nun rechtskräftig vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) wies eine Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde zurück, mit der diese den Freispruch des Wiener Straflandesgerichts vom Juli 2022 bekämpfen wollte.

Freigesprochen wurde damit auch Grassers mitangeklagter ehemaliger Steuerberater, wie die „Presse“ und der „Standard“ (Wochenendausgaben) berichteten.

Grasser war vorgeworfen worden, knapp 4,4 Mio. Euro an Honoraren, die er für Vertriebsleistungen für die Meinl Bank Antigua erhalten hatte, nicht in seiner Steuererklärung angegeben zu haben. Der Vorwurf ist mit dem Freispruch vom Tisch.

Noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist das Verfahren zur Privatisierung der Bundeswohnungsgesellschaften rund um die BUWOG. Grasser wurde im Dezember 2020 in erster Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt. Seine Anwälte legten Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde ein, der Oberste Gerichtshof hat noch nicht entschieden. Grasser bestreitet alle Vorwürfe – für ihn und die anderen Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Geht es nach der jüngsten Ausgabe der OECD-Bildungsvergleichsstudie PISA 2022, fühlen sich die meisten der befragten 15- und 16-Jährigen an Österreichs Schulen wohl. Das Wohlbefinden liegt weiter über dem OECD-Schnitt, im Vergleich zur Studie von 2018 haben sich die Werte trotz Pandemie nicht verschlechtert.

Im selben Zeitraum hat Bullying – also wiederholtes Schikanieren über einen längeren Zeitraum – abgenommen, aber immer noch wird ein Fünftel regelmäßig schikaniert.

Im Zusatzfragebogen zur PISA-Studie gaben 80 Prozent der befragten Jugendlichen an, in der Schule leicht Freunde zu finden, und 77 Prozent, sich zugehörig zu fühlen. 87 Prozent hatten das Gefühl, von den anderen gemocht zu werden. Gleichzeitig berichteten aber weiterhin ein Sechstel bis Achtel der Jugendlichen, dass sie sich in der Schule einsam, fehl am Platz oder als Außenseiter fühlen.

Die generelle Zufriedenheit mit dem Leben hat in den vergangenen Jahren in vielen Ländern einen Dämpfer bekommen, so auch in Österreich: 20 Prozent der Teenager haben 2022 angegeben, mit ihrem Leben unzufrieden zu sein. Das sind etwas mehr als im OECD-Schnitt (18 Prozent). 2018 lag der Wert in Österreich noch bei 17 Prozent.

EU

Die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calvino soll künftig die Europäische Investitionsbank (EIB) leiten und damit Nachfolgerin des Deutschen Werner Hoyer werden. Darauf verständigten sich die Finanzminister der 27 EU-Staaten, wie der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem heute in Brüssel sagte.

Ursprünglich war auch die Dänin Margrethe Vestager als Kandidatin genannt worden. Die Kandidatur sei nun zurückgezogen worden, teilte die dänische Regierung mit. Vestager werde ihre Rolle als EU-Wettbewerbskommissarin wieder aufnehmen.

Die belgische Regierung hat heute ihre Prioritäten für die am 1. Jänner beginnende EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt. „Schützen, Stärken, Vorbereiten“ soll dabei das Motto sein, sagte Belgiens Premierminister Alexander de Croo bei der Pressekonferenz in Brüssel. Aktuell gebe es noch rund 150 EU-Gesetzesvorhaben, die noch nicht abgeschlossen wurden.

Das Ziel der belgischen Ratspräsidentschaft sei es, so viele dieser Vorhaben wie möglich noch vor der EU-Wahl im Juni 2024 zu einem Abschluss zu bringen, erklärte die belgische Außenministerin Hadja Lahbib.

Als Richtschnur sollen dabei sechs allgemein gehaltene Prioritäten helfen: die Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die Transition hin zu einer grünen Wirtschaft, die Stärkung der sozialen und gesundheitspolitischen Agenda sowie die Migrations- und Asylpolitik. Belgien wolle alle noch offenen Teile des EU-Migrationspaktes angehen, heißt es dazu im offiziellen Programm.

Belgiens Präsidentschaft wird dann im Juli wiederum an Ungarn weitergegeben. Die Zeit, die den Belgiern bleibt, um ihre Vorhaben weiterzubringen, ist in Wirklichkeit aber wesentlich kürzer. Spätestens im Mai, wenn der EU-Wahlkampf an Fahrt gewinnt und das EU-Parlament nicht mehr zu Plenarsitzungen zusammenkommt, schließt sich das Fenster.

Die EU-Finanzminister haben ihre Beratungen über neue Defizit- und Schuldenregeln vertagt. „Die Grundsteine für eine Einigung sind gelegt“, erklärte ein EU-Diplomat in der Nacht auf heute in Brüssel unter Verweis auf den spanischen Ratsvorsitz.

Nun wollten die Mitgliedsländer den Kompromissvorschlag noch juristisch prüfen. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire äußerte sich zuversichtlich über eine Einigung „vor Jahresende“.

Deutschland und Frankreich näherten sich nach französischen Angaben an. „Wir haben entscheidende Fortschritte gemacht“, betonte Le Maire nach der gut achtstündigen Verhandlungsrunde in Brüssel. Eigentlich hatte die EU eine Einigung bis heute angepeilt.

Schuldenregeln sollen flexibler werden

Die EU-Kommission hatte im November 2022 eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgeschlagen, um die gut 25 Jahre alten Schuldenregeln flexibler zu machen. Die Zeit drängt: Ohne Einigung treten die alten Regeln zum 1. Jänner wieder in Kraft. Die EU hatte sie in der CoV-Pandemie ausgesetzt, um den Ländern Milliardenhilfen für die Wirtschaft zu ermöglichen.

Frankreich und südeuropäische Länder wie Italien fordern möglichst lockere Vorgaben, um Raum für Investitionen zu schaffen. Deutschland, Österreich und andere drängen dagegen auf einen verlässlichen Schuldenabbau, damit sich eine Euro-Krise wie ab 2010 nicht wiederholt.

„Für uns geht es vor allem darum, dass sichergestellt ist, dass Länder mit hohen Defiziten und hoher Verschuldung einen ambitionierten und raschen Defizitabbauplan verfolgen müssten – dies wurde in den Verhandlungen immer wieder infrage gestellt“, sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Wenn die Regeln nicht seriös und glaubwürdig gestaltet sind, stelle das eine Gefahr für die Stabilität der EU dar.

Ukraine-Krieg

Russische Streitkräfte fliegen nach ukrainischen Angaben verstärkt Lufteinsätze und setzen weitere Angriffstruppen ein, um die Stadt Awdijiwka in der Ostukraine einzunehmen. „Den zweiten Tag in Folge haben die Besatzungstruppen Kamikazedrohnen und Flugzeuge aktiv eingesetzt. Die Zahl der Gefechte hat deutlich zugenommen“, sagte der ukrainische Militärsprecher Olexandr Stupun im staatlichen Fernsehen.

Angesichts großer politischer Widerstände gegen weitere Ukraine-Hilfen greift die US-Regierung unterdessen inzwischen auch offensiv zu wirtschaftlichen Argumenten, um für weitere Unterstützung Kiews zu werben.

US-Außenminister Antony Blinken sagte gestern nach einem Treffen mit seinem britischen Amtskollegen David Cameron in Washington: „Wenn man sich die Investitionen ansieht, die wir in die Verteidigung der Ukraine getätigt haben (…), dann wurden 90 Prozent der von uns geleisteten Sicherheitsunterstützung tatsächlich hier in den Vereinigten Staaten ausgegeben – bei unseren Herstellern.“

Das sei neben der Bedeutung der Unterstützung Kiews für die Weltpolitik und die nationale Sicherheit der USA auch ein Gewinn, betonte Blinken. Diese „Fußnote“ richte sich ausdrücklich an das amerikanische Publikum.

Wirtschaft

Eine weitere wichtige Firma der in Schieflage gerutschten Signa Gruppe des Immobilieninvestors Rene Benko steht nach einem Medienbericht vor einem Insolvenzantrag. Das Management der Signa Prime bereite eine Insolvenz in Eigenverwaltung vor, berichtete der „Spiegel“ heute unter Berufung auf Insider.

In der Gesellschaft hat Benko die Signa-Anteile an bekannten Immobilien wie etwa dem Berliner KaDeWE und dem Wiener „Goldenen Quartier“ gebündelt. Derzeit werde unter Hochdruck an einem Sanierungsplan gearbeitet, berichtete der „Spiegel“ weiter, mit dem ein Gericht von dieser Insolvenzform überzeugt werden müsse. Durch sie, so die Hoffnung, ließen sich Vermögenswerte retten. Signa war nicht für einen Kommentar erreichbar.

Der verschachtelte Signa-Konzern ist das bisher größte Opfer des jähen Absturzes auf dem Immobilienmarkt. Benkos Dachgesellschaft Signa Holding hatte bereits in Wien ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung beantragt, das Gericht hatte den Rechtsanwalt Christof Stapf zum Insolvenzverwalter ernannt.

Sport

Anna Gandler und Anna Juppe haben sich heute beim Biathlonweltcup in Hochfilzen im Sprint über 7,5 km eine gute Ausgangsposition für die Verfolgung morgen (14.45 Uhr, live in ORF1) verschafft. Sowohl die 22-jährige Gandler als auch die 24-jährige Juppe blieben am Schießstand fehlerfrei und landeten beim Sieg der Norwegerin Ingrid Landmark Tandrevold auf den Plätzen elf (+1:00,4) und 13. (1:07,0). Für Juppe war es das beste Ergebnis ihrer Karriere. Bei den Männern gewann mit Tarjei Bö ebenfalls ein Norweger.

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Speed-Ass Nina Ortlieb ist heute vor dem Super-G in St. Moritz beim Einfahren gestürzt und hat sich damit mutmaßlich schwer verletzt. Nach einer ersten Abklärung wurde die 27-jährige Vorarlbergerin mit Verdacht auf Schien- und Wadenbeinbruch ins Krankenhaus nach Schruns geflogen. Eine genauere Diagnose wird für heute Nachmittag erwartet.

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Lena Kreundl hat heute bei den Kurzbahn-Europameisterschaften im rumänischen Otopeni nach Finalrang fünf über 100 m Lagen im Vorlauf über 200 m Lagen nachgelegt. Sie wurde in 2:09,40 Minuten Vierte – hinter drei Britinnen, von denen eine wegen der Nationenquote aus der Wertung fiel.

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Chronik

Die Höhenretter der Berufsfeuerwehr Wien sind heute Nachmittag zu einem Einsatz am höchsten Gebäude Österreichs, dem DC Tower in der Wiener Donaustadt, ausgerückt. Eine Platte vom Turm droht sich zu lösen. Der Einsatz der Feuerwehr wurde abgebrochen, da der Wind zu stark weht.

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Die Abschussgenehmigung für 200 Kormorane am Vorarlberger Bodenseeufer soll, zusammen mit weiteren Maßnahmen, um drei Jahre verlängert werden. Die Bodenseefischer haben einen entsprechenden Antrag eingebracht. Naturschutzanwältin Katharina Lins will das Vorhaben prüfen und denkt über eine Beschwerde nach.

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Eine 32-Jährige ist nach einem Faustschlag, der einen Wiener Polizisten ins Spital brachte, festgenommen worden. Sie soll den Beamten praktisch aus dem Nichts in einer Polizeiinspektion angegriffen haben.

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In der Musterklage gegen die Salzburger Festspiele wegen Verletzung der Zahlungspflicht bei Verschiebungen und Absagen haben die Kläger nun auch eine Strafanzeige gegen den Intendanten und Kaufmännischen Direktor der Festspiele eingereicht. Sie werfen schweren Betrug durch Täuschung vor. Die Festspiele wehren sich „aufs Schärfste gegen den unhaltbaren Vorwurf“.

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Die weltweite Zahl an vorsätzlichen Tötungen ist laut einer UNO-Studie im zweiten Jahr der Coronavirus-Pandemie auf 458.000 angestiegen. Der Wert von 2021 war der höchste seit zwei Jahrzehnten, wie das UNO-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien heute berichtete.

Für 2022 und 2023 liegen noch keine ausreichenden Daten vor. 2021 meldeten weltweit nur sieben europäische Länder mehr weibliche als männliche Opfer, darunter Österreich.

Aus Sicht der UNDOC-Fachleute hängt der Anstieg während der Pandemie mit den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zusammen. Außerdem trugen Bandenkriminalität und die Gewalt im Krisenstaat Myanmar zur erhöhten Opferzahl bei.

Regionale Unterschiede

Die Trends verliefen jedoch regional unterschiedlich. In Westeuropa nahm die Opferzahl vor allem wegen zunehmender Tötungsfälle in Deutschland bereits 2020 zu und im Folgejahr wieder ab. In manchen afrikanischen Ländern wurde 2021 ein Anstieg beobachtet.

Die UNO-Statistik beinhaltet auch Opfer von Terrorismus und unrechtmäßiger staatlicher Gewalt. Nicht eingerechnet werden Opfer von bewaffneten Konflikten. 2021 kamen fast viermal so viele Menschen durch vorsätzliche Tötungen ums Leben wie durch Konflikte.

Das Risiko, einem Tötungsdelikt zum Opfer zu fallen, liegt laut UNDOC auf dem amerikanischen Kontinent mit 15 pro 100.000 Einwohnern am höchsten, gefolgt von Afrika mit einem Faktor von 12,7. In Europa liegt der Wert bei 2,2.

Wegen einer Protestaktion von Kollegen sind in Südafrika mehrere hundert Bergleute heute in ihrer Mine eingeschlossen gewesen. Es hingen mehr als 400 Menschen unter Tage fest, teilte die Geschäftsleitung der betroffenen Goldmine in Springs im Osten von Johannesburg mit.

Bakubung Mine in Südafrika
APA/AFP/Phill Magakoe

Demonstrierende Bergleute hätten ihren Kollegen die Zu- und Ausgangskarten abgenommen, sodass diese nicht mehr an die Oberfläche zurückkehren konnten. Hintergrund der Auseinandersetzung sind Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Gewerkschaften. Erst im Oktober waren deshalb in derselben Mine rund 500 Bergleute drei Tage lang unter Tage festgehangen, weil Kollegen der anderen Gewerkschaft sie das Bergwerk nicht verlassen ließen.

In Südafrikas Bergwerken arbeiten Hunderttausende Menschen. Das Land ist der größte Platinproduzent der Welt und zählt außerdem zu den wichtigsten Exporteuren von Gold, Diamanten, Kohle und anderen Rohstoffen.

Religion

Die neue Synodenpräsidentin der Evangelischen Kirche A. B. heißt Ingrid Monjencs. Die 63-jährige Lektorin und Synodale aus Wien wurde von den Delegierten der Synode heute in Eisenstadt zur Nachfolgerin von Peter Krömer gewählt.

Mit Monjencs, die lange die Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) verantwortete, steht erstmals in der Geschichte der Evangelischen Kirche in Österreich eine Frau an der Spitze der Synode.

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Umwelt & Klima

Paris plant eine Verdreifachung der Parkgebühren für SUVs auf 18 Euro pro Stunde im Stadtzentrum und zwölf Euro in Außenbezirken. Die Bevölkerung soll am 4. Februar über das Vorhaben abstimmen.

Seit zehn Jahren sei die private Pkw-Nutzung in Paris aufgrund der städtischen Verkehrspolitik rückläufig, teilte die Stadtverwaltung heute mit. Gleichzeitig hätten Größe und Gewicht der Autos wegen des wachsenden Anteils von Stadtgeländewagen (SUV) im Durchschnitt zugenommen.

Einwohnerinnen und Einwohner ausgenommen

Den Sondertarif für SUVs sollen ausschließlich Besucherinnen und Besucher bezahlen. Die Bevölkerung der Hauptstadt soll ebenso ausgenommen werden wie Handwerkerinnen und Handwerker und Pflegedienste. Greifen soll der Tarif für Verbrenner- und Hybridmodelle mit einem Gewicht ab 1,6 Tonnen und Elektromodelle ab zwei Tonnen.

Diese sorgten für Umweltverschmutzung sowie Probleme bei der Sicherheit und der gerechten Aufteilung des öffentlichen Raums, begründete die Stadt ihren geplanten Schritt.

IT

Das Computerrollenspiel „Baldur’s Gate 3“ ist zum Videospiel des Jahres gekürt worden. Bei einer mit vielen Stars gespickten Gala zur Verleihung der Game Awards 2023 räumte das Spiel der belgischen Larian Studios gestern Abend in Los Angeles den Hauptpreis ab.

„Baldur’s Gate 3“ spielt in einer Fantasiewelt von Hexen, Feen, Elfen, Zwergen und ähnlichen Fabelwesen, in der die Mitspieler in ihre ganz persönliche Rolle schlüpfen können.

„Das Team von Larian hat sechs Jahre lang seine Herzen und seine Seele für dieses Spiel gegeben, manchmal unter sehr schwierigen Umständen“, sagte Unternehmenschef Swen Vincke bei der Entgegennahme des Preises.

Die Game Awards gelten als weltweit wichtigste Preise der Spielebranche. An der Zeremonie in Los Angeles nahmen unter anderem die Hollywood-Stars Matthew McConaughey und Timothee Chalamet teil.

Gesundheit

Die Ansteckungen mit sexuell übertragbaren Krankheiten in Europa sind in den vergangenen Jahren „besorgniserregend“ gestiegen. Das hat die EU-Gesundheitsbehörde ECDC heute mitgeteilt. Bei Chlamydien, Gonorrhoe und LGV, einer Form der genitalen Chlamydieninfektion, gebe es starke Zuwächse der gemeldeten Fälle.

Zuvor hatte die Behörde bereits einen Anstieg der Syphilis-Fälle verzeichnet. Nun wurde eine dringende Stärkung von Präventionsmaßnahmen gefordert.

Es gebe einen jahrzehntelangen Trend steigender Raten bei sexuell übertragbaren Krankheiten in ganz Europa, hieß es in der ECDC-Aussendung. Ein Rückgang der Zahlen während der Covid-19-Pandemie sei wahrscheinlich auf Änderungen beim Zugang zu Tests und die reduzierte soziale Durchmischung zurückzuführen.

Anstieg nach Pandemiejahr 2020

Allein im Jahr 2021 gab es 46.728 bestätigte Fälle von Gonorrhoe, damit wurde das Niveau vor der Pandemie übertroffen. Der Bericht über Chlamydien zeigt ein ähnliches Bild mit Anstiegen von 2012 bis 2019, einem Rückgang im ersten Pandemiejahr 2020, gefolgt von einem erneuten Anstieg im Jahr 2021.

Bei LGV sei der Zuwachs besonders besorgniserregend. Die Infektion stelle aufgrund ihrer möglichen lang anhaltenden Komplikationen eine besondere Herausforderung dar. Immer mehr Fälle würden HIV-negative Männer betreffen, die Sex mit Männern haben (MSM).

Science

Ein kleiner afrikanischer Vogel namens Honiganzeiger führt Menschen zu den Nestern von Wildbienen – eine Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren. Eine Studie zeigt nun, dass die Vögel die Lockrufe der Menschen, die je nach Region anders klingen, sogar voneinander unterscheiden können und entsprechend darauf reagieren.

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Kultur

Die Dramen „Killers of the Flower Moon“, „Oppenheimer“, „Maestro“ und „May December“ zählen aus Sicht des renommierten American Film Institute (AFI) zu den zehn besten Filmen des Jahres 2023. Auch die Komödie „Barbie“, die Satire „American Fiction“ und der Fantasyfilm „Poor Things“ sind unter den Spitzenkandidaten, wie der Verband gestern (Ortszeit) bekanntgab. Die Filmschaffenden sollen am 12. Jänner mit einer Preiszeremonie geehrt werden.

Zu den weiteren AFI-Favoriten gehören die Independent-Romanze „Past Lives“, die Tragikomödie „The Holdovers“ und das Animationsabenteuer „Spider-Man: Across the Spider-Verse“.

Die jährliche Auswahl durch Filmfachleute, Kritiker und Kritikerinnen gilt als Vorbote für die spätere Oscar-Verleihung. Häufig schaffen es ausgewählte AFI-Filme unter die Oscar-Anwärter in der Sparte „Bester Film“.

88 Länder im Rennen um den Auslandsoscar

Filmbeiträge aus 88 Ländern bewerben sich für 2024 um den Auslandsoscar. Das teilte die Oscar-Akademie gestern (Ortszeit) im kalifornischen Beverly Hills mit. Österreich hat mit „Vera“ einen italienischsprachigen Film ins Rennen geschickt.

Unter den Auslandskandidaten für die 96. Oscar-Verleihung im kommenden März ist mit „Under the Hanging Tree“ erstmals ein Beitrag aus Namibia dabei. Japan ist mit dem von Wim Wenders inszenierten Drama „Perfect Days“ vertreten, Frankreich mit „Geliebte Köchin“, Finnland mit „Fallende Blätter“, die Ukraine mit der Dokumentation „20 Days in Mariupol“.

Die Kriegsdoku „20 Days in Mariupol“ des ukrainischen Journalisten Mstyslav Chernov ist zudem unter den insgesamt 167 Filmen, die sich für das Rennen um den Doku-Oscar qualifiziert haben. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences wählt aus den Bewerbungen jeweils 15 Filme aus. Diese „Shortlist“ soll am 21. Dezember bekanntgegeben werden.

„Wie schön wäre Wien ohne Wiener?“, fragte Georg Kreisler einst – und was, so könnte man schließen, wäre eine Opernpremiere in Wien ohne Kulturkampf? Die Neudeutung von Giacomo Puccinis „Turandot“ von Regisseur Claus Guth an der Wiener Staatsoper wurde gestern zu einem Kulturkampfevent im besten Wiener Sinn. Wer Psychoanalyse statt Exotismus zelebriert, schafft einen Reibebaum in der Publikumszustimmung.

Zugleich wurde die neue Inszenierung zum Triumphzug für Asmik Grigorian, der seit ihrem „Salome“-Durchbruch die besonders abgründigen, um nicht zu sagen blutigen Frauenpartien zum Markenkern geworden sind.

Szenenbild aus der Turandot an der Wiener Staatsoper
Monika Rittershaus
Jonas Kaufmann als Calaf nimmt Turandots Rätselprobe an

Ein zum Original passender Zugang

Grigorians Interpretation der „Turandot“ passt eigentlich sehr zu Puccinis nie komplett vollendetem Original aus dem Jahr 1924. Denn Puccini gibt Ursachen an für das Verhalten Turandots, die bekanntlich alle Freier an der scheinbar unlösbaren Rätselaufgabe scheitern und in Folge enthaupten lässt.

Die nie genau ausgedeutete Vergewaltigung ihrer Ahnin soll der Grund für Turandots Verweigerung jeglicher männlicher Annäherung sein. Selbst der auf Diktatur getrimmte Hofstaat mit einem Kaiservater an der Spitze neigt dazu, an ihrem Dauermassaker zu verzweifeln.

Das Terrorregime der Turandot

Auch nur eine einzig falsche Antwort, und der Kopf ist ab. Denn jeder, der um die Hand der Prinzessin Turandot anhält, muss drei Rätsel lösen oder eben sterben. Ziemlich blutrünstig geht es zu in Giacomo Puccinis letzter Oper „Turandot“. Der Blockbuster in Starbesetzung steht in der Neuinszenierung von Claus Guth auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper.

Ein Hauch von Marthaler

Als mit dem Tatarenprinzen Calaf nun ein Mann ins Feld tritt, der sie als Frau erkennen kann, bricht der Fluch und sind auch die drei Rätselaufgaben lösbar. Hier setzt Guth in seiner Inszenierung an, die ein bisschen so wirkt, als hätten sich Christoph Marthaler und Christof Loy in der Mitte des Guckkastens getroffen: Marthalerartige Figuren treten in ein Loy-Szenario, in dem die Eingangstür eine entscheidende Rolle spielt. Eingetreten wird durch die Praxistür von Sigmund Freud in der Wiener Berggasse.

Jonas Kaufmann als Calaf klopft bei der Annahme der Herausforderung nun nicht mehr auf den obligaten Gong – sondern an die Tür des Therapeuten. Und er will Turandot Heilung bringen. Dass er das so holzschnittartig und eigentlich brutal macht wie das, wovor Turandot flieht, ist der Widerspruch, der die Regie reizt. Die Regie liest Puccini gegen den Libretto-Text, aber mit der Partitur: Denn auch wenn diese Oper so etwas wie der Endpunkt des klassischen Singspiels mit seinem Formenrepertoire des 19. Jahrhunderts sein mag, so ist sie modern in allen Sequenzen, die von den Träumen der Turandot bis hin zur kollektiven Halluzination in diesem Peking in der ausgerufenen Märchenzeit handeln.

Man mag diesen Zugang für bemüht empfinden, doch das Team rund um Guth bringt hier einen Klassiker mehr als überzeugend und anbiederungslos auf die Bühne des Jahres 2023. Keine Minute dieser Inszenierung hat ihre Längen. Und auch das Warten auf den Morgen, in der Nacht, in der niemand schlafe („Nessun dorma“), ist überzeugend gedeutet. So muss auch die Arie aller Arien eben nicht im Pavarotti-Schweißtuch bis an den Oberrang geschmettert werden, sondern darf als Reflexion im Raum stehen.

Berechtigter Jubel für Mkhitaryan

Für Jonas Kaufmann ist dieser Zugang gesangstechnisch auf jeden Fall gut gewählt. Asmik Grigorian brillierte stimmlich als Turandot. Zugleich darf man erwarten, dass der Charakter ihrer Stimme mit der Zeit noch wachsen darf. Kristina Mkhitaryan als wissende Sklavin Liu, die ja Puccini zu der Vorlage von Carlo Gozzi und der Bearbeitung durch Friedrich Schiller dazu erfinden ließ, war der heimliche Star des Abends, der zu Recht vom Publikum gefeiert wurde.

Wenn Puccinis „Turandot“ das Ende der klassischen Oper ist, dann ist sie der Beginn der Filmmusik. Das machte die musikalische Umsetzung durch den Puccini-Könner Marco Armiliato auch deutlich. Puccini, das kam bei ihm aus dem Effeff. Der Notenauszug des Meisters fehlte auf dem Dirigentenpult. Vielleicht manchmal zu pathetisch, aber stets exakt führte Armiliato das Staatsopernorchester und einen für die Inszenierung essentiellen Staatsopernchor in Bestform.

Wer diese Inszenierung in ihrer Psychologisierung annehmen konnte, ging mit „Nessun dorma“ ins Bett, um am Morgen mit Federico Fellinis „Achteinhalb“ aufzuwachen. Ohne diesen Puccini kein Nino Rota und die musikalische Ausdeutung der Seele als Arabeske.

Die Premiere zum Nachschauen

Die Premiere der neuen „Turandot“ aus der Staatsoper ist am Samstag, 16.12.2023, um 20.15 Uhr zu sehen – mehr dazu in tv.ORF.at. Ebenso überträgt ORF Topos diese Aufzeichnung mit, erweitert um eine kleine Kulturgeschichte rund um diese Oper.